Nach monatelanger, minutiöser Vorbereitung gelingt dem österreichischen Extremkletterer Beat Kammerlander (50) die ‚cleane’ Durchsteigung seiner Route ‚Prinzip Hoffnung’ an der Bürser Platte in Vorarlberg. Spärlich und ausschließlich mit natür- lichen Sicherungsmitteln abgesichert, bezwingt er eine 40 Meter hohe Steilwand, deren Felsstruktur einer Raufasertapete gleicht. Ein mentaler und physischer Kraftakt.
„Die Bürser Platte hat mich schon lange fasziniert“, sagt Beat Kammerlander. „Sie ist in gewisser Weise einmalig, denn an einer glatten Wand in diesem hohen Schwierigkeitsgrad (10/10+ und vielleicht E9-E10) eine Linie zu finden, die es einem ermöglicht, das ganze mit mobilen Sicherungsmitteln abzusichern, also clean zu klettern, gibt es fast nirgends. In dieser Wand geht ein kleiner Riss hoch, der praktisch nach 25 Metern ausläuft, dann kommt die Schlüsselstelle und sechs, sieben Meter weiter oben läuft der Riss diagonal versetzt weiter. Die Kletterei ist wirklich speziell, denn man klettert an extrem kleinen Griffen und Tritten. Wenn man da zu ernst und zu oft probiert, ruiniert man sich die Schuhe und holt sich blutige Finger. Es ist wie eine kleine Schlacht, dort hochklettern zu müssen.“
Die erste Begegnung mit der Bürser Platte hatte der im Nachbarort Bludenz geborene Sportkletterer bereits vor einem Jahrzehnt. Schon im Jahr 1997, nur wenige Monate nachdem seinem Freund Marco Wasiner (AUT) die Erstbegehung der unteren Hälfte der Route bis zur Schlüsselstelle gelungen war, klettert Beat Kammerlander die Verlängerung der Route im oberen zehnten Schwierigkeitsgrad.
„Interessanterweise hat es, nachdem ich die Route Rotpunkt geklettert habe, keine Wiederholungs- versuche gegeben. Irgendwann habe ich dann angefangen, mich wieder mit der Wand zu beschäftigen. Ich spürte auf einmal das Verlangen, diese Wand clean zu klettern, also alle Bohrhaken zu entfernen und meine gesamte Sicherung am Körper mitzuführen, das heißt die Sicherungen aus der Kletterposition heraus anzubringen. Das schien mir der einzig richtige Weg zu sein. Aber gleichzeitig erschien es auch unmöglich. Doch genau das macht ja den Reiz eines Projektes aus.“
Mentale Blockade
Einen ganzen Sommer lang trainiert Beat Kammerlander, um sich mental und physisch auf sein Projekt ‚Prinzip Hoffnung’ vorzubereiten. Dabei liegt die eigentliche Herausforderung in der Sicherung. „Es war ein relativ langer Entwicklungs- prozess“, erzählt der Vorarlberger. „Es hat über ein dreiviertel Jahr gedauert, bis ich mental so weit war, es zu versuchen. Die Mini-Stopper, die man an der Wand einsetzen kann, halten vielleicht 150 bis 300 Kilogramm aus. Bei einem Sturz aus 10 bis 15 Metern Höhe tritt jedoch eine weitaus höhere Kraft auf. Man weiß also von vorneherein, dass viele der Klemmkeile im Extremfall nicht halten würden. In der Schlüsselstelle kann man beispielsweise überhaupt nicht sichern. Und genau das löst die mentale Blockade aus. Hier hilft nur minutiöse Planung. Ich wusste auf den Millimeter genau welcher Klemmkeil wo hinkommt. Allerdings hat mich die Schlüsselstelle sehr lange beschäftigt. Irgendwann hatte ich dann die zündende Idee, ein zweites Seil zur Sicherung einzusetzen. An diesem Seil stand eine Person meines Vertrauens, die im Ernstfall wegsprinten musste, um das Seil einzuholen. Mit diesem Lösungsansatz habe ich auch meine Angst überwunden.“
Urwille
Im Winter 2008/2009 startet Beat Kammerlander schließlich den Versuch. „Die Bürser Platte ist ein typisches Winterprojekt“, sagt er. „Man braucht Temperaturen zwischen null und zehn Grad, sonst sind die Finger zu weich und die Gummimischung der Reibungsschuhe würde auf diesen kleinen Tritten nicht halten.“ Das Projekt gelingt nicht gleich auf Anhieb. Kammerlander stürzt ein paar Mal in der Schlüsselstelle und muss immer wieder die Klemmkeile entfernen und von vorne beginnen. Am Tag der erfolgreichen Durchsteigung bleiben ihm noch zwanzig Minuten bis zum Sonnenuntergang. Eigentlich will er nur noch einen ‚Trainingslauf’ absolvieren, doch dann gelingt ihm das Unmögliche. „Bei der geglückten Durchsteigung hatte ich in der Schlüsselstelle das Gefühl als würde ich konstant stürzen“, erinnert sich Beat Kammerlander. „Ich war so überrascht, dass ich wie ein Tropfen, der an der Decke baumelt trotzdem kleben bleibe. Du spürst du stürzt jetzt, aber Du kletterst einfach weiter. Dieser Urwille, den du in dieser Situation in deinem Bauch spürst, ist das was dir nach-haltig in Erinnerung bleibt und was dich stark macht. Wenn ich so eine Route klettere, dann fühle ich mich nicht wie fünfzig.“
Beat Kammerlander sieht seine Route ‚Prinzip Hoffnung’ (E9-E10), als eines seiner ganz großen Highlights als Kletterer. „Neben den Erstbegehungen ‚Silbergeier’, ‚Unendliche Geschichte’, oder ‚Mordillo’ (Free Solo im unteren zehnten Schwierigkeitsgrad), hat ‚Prinzip Hoffnung’ in meiner persönlichen Entwicklung sicher gleich viel Stellenwert“, sagt er. „Bedeutende und motivierende Kletterprojekte sind für mich die Geschichten, bei denen ein Entwicklungsprozess in dir selbst notwendig ist, an dessen Ende die Tour
Beat Kammerlander (* 1959 Bludenz/Vorarlberg) zählt zu den besten Sportkletterern der Welt und hat maßgeblich zur Entwicklung des Klettersports beigetragen, insbesondere im alpinen Gelände. Seine Route Silbergeier zählte jahrelang zu den drei schwersten Alpintouren der Welt, der Trilogie, bis Alexander Huber mit Bellavista in der Westlichen Zinne-Nordwand im Jahre 2003 eine noch schwerere Route klettern konnte. Auch Beat Kammerlanders Unendliche Geschichte im Rätikon (1991) galt lange Zeit als die international schwierigste Alpine Route. Seine schwierigsten Sportklettererstbegehungen sind Speed (11-/11) und Missing Link (11) am Voralpsee in der Schweiz. Sein aktuelles Projekt Prinzip Hoffnung bewertet Beat Kammerlander mit 10/10+, E9-E10.
Beim Clean-Climbing wird eine Begehung zusätzlich dadurch erschwert, dass alle Sicherungspunkte aus mobilen Sicherungsmitteln (Klemmkeile, Friends und ähnliche) bestehen und nach dem Klettern wieder entfernt werden. Der Zusatz Clean kennzeichnnet, dass die Begehung rein an mobilen Sicherungsmitteln stattgefunden hat, es kann also beispielsweise auch (wenn auch eher selten) eine Rotpunkt- oder a.f.-Begehung „Clean“ erfolgen. Clean stellt zusätzliche Anforderungen an den Kletterer, da das Anbringen von mobilen Sicherungsmitteln mehr Zeit und damit mehr Kraft in Anspruch nehmen kann als das simple Einhängen einer Expressschlinge in einen Bohrhaken. Auf jeden Fall aber verlangt es Erfahrung, die Stellen (sogenannte „Placements“) zu erkennen, an denen die Sicherungsmittel sinnvoll eingesetzt werden können, und Vertrauen in die selbst gesetzten Sicherungen.
Video Beat Kammerlander Prinzip Hoffnung - 12:00 Min.
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