Denis Urubko beim Versuch der Winterbesteigung des K2 2018 (c) CAMP Denis Urubko beim Versuch der Winterbesteigung des K2 2018 (c) CAMP
04 September 2018

Interview Denis Urubko

Lisa-Maria Laserer spricht mit dem russischen Ausnahmealpinisten über die polnische K2 Expedition, das Altern als Bergsteiger und auch ein wenig Privates.

Du sagest einmal, dass Du Deine eigenen Regeln beim Besteigen von 8000ern hast: Alpinstil, Erstbegehung auf einer neuen Route und kleines Team. Kannst Du mir dann bitte die Gründe nennen, warum Du Dich trotzdem dazu entschlossen hast an der polnischen K2 Expedition teilzunehmen – diese war ja bekanntlich im alten Stil organisiert und vom Staat gesponsert? Denn das geht ja gegen Deine eigenen Regeln. Und warum versuchst Du nicht ein eigenes kleines Team für den K2 im Winter nach Deinen eigenen Regeln zusammenzustellen, wie damals mit Simone Moro am Gasherbrum II?

Wegen dem K2: Das war ein langjähriger Traum von mir. In der Vergangenheit habe ich bereits 2003 an einer Winterbesteigung mit einem polnischen Team teilgenommen und 2015 habe ich es nochmal gemeinsam mit Adam Bielecki versucht. Es war eine kleine organisierte Gruppe 2015 im Vergleich zur großen Expedition des polnischen Nationalteams im Bergsteigen im Jahr 2003. Und auch jetzt habe ich es wieder selbst versucht, aber die Regierung hat unsere Erlaubnis zurückgezogen und es war schon komisch, dass unser kleines Team nicht genug Unterstützung bekommen hat. Daher fing ich an vom K2 zu träumen – in welcher Art auch immer. Für mich bedeutete es auch einfach Sicherheit, dass sich die Organisatoren um den Anmarsch zum K2 kümmern und für mich war es nur ein Spiel, nach meinen eigenen Regeln, nach meinen eigenen Interessen und den des K2s. Und aus diesen Gründen wollte ich es, auch weil ich seit vielen Jahren, seit meiner Jugend, von den polnischen Bergsteigern lerne. Die haben in den 70ern und 80ern wirkliche Alpingeschichte geschrieben und es war eine große Ehre, ein großer Stolz für mich, ein Teil dieses Teams unter der Führung von Krzysztof Wielicki zu sein - gemeinsam mit meinen Freunden Adam Bielecki und Marcin Kaczkan. Ich wollte bei diesem Besteigungsversuch nicht nur meine persönlichen Ziele als Athlet erreichen, sondern auch die gute Freundschaft aufrecht erhalten – die ganze Organisation, all unsere persönlichen Ziele vereint in einem Traum. Das war das Interessante für mich.

Die italienischen Medien haben gemeldet, dass Du vor kurzem mit Piotr Tomala, dem neuen Teamleader der polnischen K2 Winterexpedition, geredet hast und er hat angeblich bestätigt, dass Du bei der nächsten K2 Winter Besteigung wieder Teil des polnischen Team sein wirst. Stimmt das?

Piotr Tomala und ich haben 3 - 4 Stunden über die Pläne für die nächste K2 Winter Expedition geredet. Wir haben unterschiedliche Ansichten in Bezug auf die Organisation, darüber, wie wir es machen. Natürlich denken 2 Leute nie gleich über das gleiche Ziel. Mein Wunsch ist es, dass ich wieder im Team bin, weil ich fühle mich wie ein polnischer Abenteurer, der an einem Ziel festhält und der sich auch an korrekte Regeln hält, der die Freundschaft mit netten Menschen, die er schätzt und respektiert, sucht. Mit guter Zusammenarbeit und Koordination all unserer Pläne für die nächsten Jahre, können wir wahrscheinlich Schritt für Schritt ein weiteres K2 Winter Projekt erreichen. Wir haben jetzt natürlich Zeit darüber nachzudenken und zu verstehen, was der beste Stil und die besten Möglichkeiten für das Projekt sind. Ich habe mich einverstanden erklärt mitzuhelfen bei der Organisation des Teams, des Budgets, des Materials und einfach bei allem. Und ich werde stolz drauf sein, meine Verantwortung wahrzunehmen, damit unsere gemeinsamen Bemühungen einen Traum wahr werden lassen. Ich möchte gerne bereit sein und eine Antwort finden auf das Problem des K2 im Winter.

Ich möchte auch sagen, dass ich bei vielen Expeditionen ein guter Teamplayer war, auch ein guter Teamleader und ich weiß, wie sich so etwas entwickelt. Ich möchte ein Team koordinieren, das aus normalen Athleten, normalen Menschen besteht und die alles dafür geben, all ihre Koordination, ihre ganze Konzentration, all ihre Wünsche um ein echtes Ziel zu verfolgen.

Piotr Tomala hat auch gesagt, dass es eine Art von „Verhandlung von Kompromissen“ zwischen Dir und den Organisatoren geben wird. Was meint er genau damit? Etwa die Definition wann der Winter anfängt und endet? Oder irgendwas anderes vielleicht?

Natürlich hat jeder seine eigenen Vorstellungen von der Organisation solcher Expeditionen, von den Besteigungen und wir haben uns darüber und über viele Details vergangener K2 Expeditionen unterhalten. Darüber, wie diese organisiert wurden und ganz ehrlich, ich kann mich nicht mehr erinnern, dass Piotr und ich über Kompromisse oder Verhandlungen gesprochen hätten. Ich verstehe nicht woher das kommt. Natürlich werde ich mich nicht gegen ethische Regeln oder gegen das Team, das aus Freunden besteht, stellen. Ich werde mein Bestes geben.

Nun eine ganz andere Frage: Was ist Deine persönliche Meinung dazu, dass Besteigungen dokumentiert werden müssen? Heutzutage, damit eine Besteigung gültig ist, muss der Bergsteiger irgendeine Form von Beweis liefern: Fotos, Videos, GPS Tracks etc. Denkst Du, das sollte so sein oder denkst Du, dass wie in der Vergangenheit das Wort des Bergsteigers genügt?

Der erste Grund warum wir in die Berge gehen, ist für uns selbst, zu unserer Freude und damit wir unsere Ziele realisieren können. Wenn jemand seine Besteigungen belegen will, ok, das ist super. Natürlich ist das gut aber es ist keine Verpflichtung anderen zu sagen, dass man den Gipfel erreicht hat. Für mich spielt das überhaupt keine Rolle. Für viele Leute ist das anders. Manche Leute glauben dem Wort des Bergsteigers, manche nicht. Ich denke, es ist nur ein Problem wen man gegenüber hat. Die Gipfelfotos und die Bestätigung der Besteigung sind etwas, das ich für meine Vorträge und Sponsoren benutze. Sie helfen mir, meine Freude mit anderen Leuten zu teilen.  Aber mir persönlich hilft das nicht. Das ist fern von meinem Ideal. Ich tue alles für mich selber. In der Zeit der ehemaligen UdSSR, wo es sportliche Herausforderungen und Wettkämpfe gab, war es natürlich besser, korrekt und detailliert jeden Schritt zu dokumentieren. Das ist auch eine Facette des Bergsteigens, in dem man sportliche Herausforderungen Schritt für Schritt dokumentiert. Und das ist auch gut so, denke ich.

Du hast gesagt, dass Du heuer den Cerro Torre versuchen möchtest. Ich kann von Deinen Blogeinträgen sehen, dass Du viel Klettern trainierst. Warum möchtest Du den Cerro Torre machen und auf welcher Route möchtest Du ihn besteigen? 

Während meines Lebens möchte ich auch an die Errungenschaften vergangener Expeditionen anknüpfen, denn das empfinde ich als korrekt, interessant und als positive Lektion. Das war zum Beispiel so am Khan Tengri, einem 7000er, der sehr bekannt ist. Ich wollte ihn unbedingt besteigen! Und der Cerro Torre hat natürlich eine sehr große Geschichte. Mein Freund Mario Curnis, hat mir gesagt, dass es sein wird, wie bei jedem anderen Berg auch. Zuerst werde ich den „alten Regeln“ sozusagen folgen, die in den 40ern und 50ern des letzten Jahrhunderts aufgestellt wurden. Denn leider suchen die Leute immer zuerst die logischste Route am Berg. Dann versucht man noch irgendetwas Sportliches oder Herausforderndes für den Sponsor einzubauen und dann wird das ganze irgendwie gekünstelt. Und für mich ist der Cerro Torre schon wirklich eine Herausforderung, ein interessanter Traum auch in Bezug auf historisch technische Besteigungen der Italiener. Ich möchte dort einfach hingehen und ein paar Besteigungen versuchen. Vielleicht am Anfang auf der leichtesten Route, vielleicht wenn wir gutes Wetter und eine gute Seilschaft haben, werden wir etwas Schwierigeres versuchen und dann, um meinen Traum komplett zu machen, möchte ich vielleicht selber eine Route hinzufügen: Eine neue Variante, eine neue Route an sich und das ist auch schon das Ende meiner Träume.

Du hast heuer gesagt, dass Du vielleicht noch 5 – 6 gute Jahre zum Besteigen von 8000ern hast. Einfach weil Du älter wirst. Du meintest, dass Du danach mehr technische Besteigungen machen möchtest. Stimmt das? Werden wir dann mehr Besteigungen wie den Cerro Torre sehen?

Ja, Du kannst das ja jetzt schon sehen. Im Moment bin ich in Georgien, am Fuße der Ushba. Zuerst habe ich die Ushba auf dem Normalweg bestiegen und jetzt versuche ich noch eine neue Route zu eröffnen. Schritt für Schritt. Es muss alles immer positiv sein, denn auch der Cerro Torre ist für mich Neuland: Der Berg ist neu, die Organisation dort ist neu und sogar der Anmarsch ist neu. Dann hoffe ich, dass in den 2 Monaten dort alles gut läuft und dass ich ein, zwei interessante Besteigungen für mich machen werde können. Aber wenn ich nur die Normalroute, die leichteste Route, schaffe, dann kann das auch schon genug sein.

Natürlich muss man für das Besteigen von 8000ern körperlich sehr fit sein. Körperlich und natürlich auch mental. Und mit dem Alter wird das von Jahr zu Jahr schwieriger. Ich sehe, dass ich noch ca. 5 - 6 Jahre 8000er besteigen werde können. Aber das Training und die Vorbereitungen nehmen immer mehr Zeit in Anspruch. Und natürlich bin ich bereit, diesen Preis noch zu zahlen für einen interessanten Traum, eine wichtige Herausforderung: 2 -3 Monate Vorbereitung und dann eine lange Expedition, wie es letzte Saison beim K2 im Winter der Fall war. Aber viele 8000er wurden ja schon bestiegen, auch von mir selber, auf neuen interessanten Routen, Winterbesteigungen etc. Ich werde mich dann wahrscheinlich mehr auf technische Herausforderungen konzentrieren, denn dann habe ich mehr Zeit für die Familie, man braucht weniger Vorbereitung und ich möchte nicht so viel Zeit zum Trainieren verwenden. Dazu sage ich nein. Ich teile mir jetzt meine Zeit ein, wie jeder andere Mensch auch. Daher werde ich hauptsächlich technisch interessante Besteigungen machen. Natürlich habe ich noch Pläne für eine neue Route am Gasherbrum II nächstes Jahr, für die Winterbesteigung des K2, die Winterbesteigung des Broad Peak und für noch ein paar andere Routen im Alpinstil, die herausfordernd sind. Für mich in meinem Alter ist es aber auch interessant auf den klassischen Routen mit der nächsten Generation unterwegs zu sein.

Was denkst Du über den „8000er Tourismus“? Denkst Du, dass die Entwicklung am Everest oder auch im Sommer am K2, wo hunderte Bergsteiger unterwegs sind, bedenklich ist oder denkst Du, dass es auch für sogenannte „Touristen“ legitim ist diese Berge auf den Normalwegen zu besteigen und dass Profi-Alpinisten wie Du eben neue Routen dort erschließen?

Mhhh….meine Einstellung ist eigentlich sehr direkt, sehr strikt, da ich 20 Jahre lang im Militär war. Aber in meiner persönlichen Meinung, ist jeder, der den Gipfel erreicht kein Tourist. Das ist Alpinismus. Leute, die den Gipfel erreichen, sind Bergsteiger! Für mich macht es eigentlich keinen Unterschied. Ich mag es, wenn Leute versuchen ihre Ziele zu erreichen und sich selbst beim Bergsteigen zu verwirklichen. Das kann jetzt als Gast mit Unterstützung von Sherpas oder Trägern sein und auch mit Sauerstoff. Das spielt alles keine Rolle. Das stellt für mich kein Problem dar. Die Berge sind Freiheit und ich respektiere die Leute, die die Berge auf den Normalwegen besteigen, im normalen Stil. Was ich nicht mag, das sind Lügner. Leute die Applaus wollen für Aussagen wie „Wir haben eine super Herausforderung gemacht“ und das dann gar nicht stimmt. Ok, in der Geschichte des Bergsteigens ist das normal, weil Leute möchten Ruhm und Applaus aber das ist wirklich ein Witz. Aber wenn Leute den Gipfel für sich persönlich besteigen, dann ist das sehr gut.

Eine private Frage: Du bist viel von zu Hause weg: entweder auf Expedition oder auf Vortragstourneen. Für viele Bergsteiger funktioniert die Kombination Familie und Expeditionen nicht besonders gut. Wie machst Du das? Du hast immerhin 2 kleine Kinder. Ich stelle mir das auch für Dich schwierig vor. Wie also schaffst Du es, eine gutes Familienleben zu haben, obwohl Du so oft weg bist?

Erm…. Privatleben ist Privatleben. Natürlich muss jeder die privaten Verhältnisse für sich selber regeln. Es ist eigentlich nichts für die Öffentlichkeit, aber die Öffentlichkeit möchte das schon auch gerne erfahren. Es ist so eine Art „Show“. Ich weiß, dass mein Leben als Bergsteiger und mein Leben als Familienvater nicht gerade kompatibel sind. Ich gehe sehr höflich mit meiner Familie um, unterstütze meine Kinder und wir verbringen so oft es geht gemeinsame Zeit miteinander. Ich kenne das Sprichwort „Liebe ist der schwierigste Job“ und jeder muss sich ins Zeug legen um ein gutes Verhältnis zu einander zu haben. Und natürlich bin ich leider kein gutes Beispiel dafür, da ich schon geschieden bin und meine Kinder oft lange ohne mich auskommen müssen. Aber ich versuche mein Bestens. Das ist das, was ich für meine Familie tun kann.

Und die letzte Frage: Wo siehst Du Dich in 20 Jahren? Wirst Du dann noch klettern oder wirst Du irgendwann mal damit aufhören und etwas anderes wird vielleicht diesen Platz einnehmen?

Ganz genau kann ich das noch nicht sagen. Ich habe noch einige Träume und klare Vorstellungen von der Zukunft. Auf Russisch sagt man: „Wenn du Gott lächeln sehen willst, dann erzähl ihm von deinen persönlichen Plänen und er wird lachen.“ Ich denke, natürlich werde ich niemals mit dem Bergsteigen aufhören. Ich werde in den Bergen sein, auf den Kletterfelsen, denn das sind alles positive Dinge. Aber manchmal ist es mir schon zu viel Risiko und es ist mein Wunsch, Schritt für Schritt jedes Jahr diese Risiko zu minimieren, denn ich werde nicht mehr jünger und es wird immer schwieriger so fit zu sein, wie vor 20 Jahren. Und daher muss ich mir eine andere Mentalität zulegen und jedes Jahr weniger risikoreiche Aktionen machen. Das bezieht sich auch auf die 8000er und das klettern – mit Bohrhacken, ganz normal gesichert. Ich denke ich werde für immer Freude daran haben mit ganz normalen Leuten in der Natur zu sein, so wie hier in Georgien, in Spanien oder überall auf dieser Welt.

Das Interview führte Lisa-Maria Laserer

Denis Urubko wird unterstützt von C.A.M.P und Grandegrimpe



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