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19 Januar 2023

Freetouring - im Rausch der Geschwindigkeit

Wer sich in den letzten Jahren einen neuen Ski gekauft hat, wird wahrscheinlich mit dem Begriff „Freetouring“ in Kontakt gekommen sein. Aber was genau ist das? Bergsteigen.com klärt auf.

Streng genommen ist Freetouring nichts anderes als Skitouren gehen. Nur eben mit etwas anderen Skiern. Sie sind breiter, haben einen größeren Radius und man kann mit ihnen höhere Abfahrtsgeschwindigkeiten erzielen.

Diese höheren Geschwindigkeiten sind auch dafür verantwortlich, dass der Skifahrer ein intensiveresFlow“-Erlebnis hat. Im Flow-Zustand, den Begriff prägte der ungarisch-amerikanischen Psychologe und Glücksforscher Mihály Csíkszentmihályi, erlebt man einen Idealzustand zwischen Angst und Langeweile. In einer Studie der Uni Klagenfurt und der TU München fand der Sportpsychologe Thomas Brandauer auch heraus, dass es einen Zusammenhang zwischen Flow-Erlebnis und der Geschwindigkeit gibt. Die besten Ergebnisse vom Flow-Erlebnis wurden übrigens bei mittleren Geschwindigkeiten von durchschnittlich 50km/h erzielt, nicht bei den Höchstgeschwindigkeiten.

Das Ski-Konzept „breite Ski und höhere Geschwindigkeiten im freien Gelände“ kennen wir ja schon seit Jahren bzw. Jahrzehnten vom Freeriding. Jedoch ist man mit den schweren Skiern und den bedingt zum Aufstieg geeigneten Bindungen limitiert und auf Liftinfrastruktur angewiesen.

So begann die Skiindustrie mittels Leichtbauwerkstoffen (Carbon, Glasfaser, etc.) und innovativen Shapes turboleichte, abfahrtsorientierte Tourenski zu produzieren. Bei gutem Schnee, sprich Pulverschnee, erhält der Fahrer durch die vergrößerte Skifläche und dem damit verbundenen höheren Auftrieb das gewünschte, süchtig machende Surf-Feeling abseits der Menschenmassen.

Wie sieht der Freetouring-Ski nun konkret aus?

Wichtigste Regel: Freetouring-Ski ≠ Freetouring-Ski.

In erster Linie geht es um die magische Zahl der Skibreiten-Mitte. 105, 115 etc. steht in den meisten Fällen schon beim Namen des jeweiligen Skimodells. Als schmälster Bereich des Skis gibt er dem Käufer (in Kombination mit der Skilänge) vor allem Auskunft über die Fläche bzw. den potentiellen Auftrieb. Simple Rechnung: je breiter und länger der Ski, desto mehr Fläche und Auftrieb. Und je mehr Fläche zur Verfügung steht, desto höhere Geschwindigkeiten sind möglich.

Da nun Freetouring als Trend im Wintersport angekommen ist, findet man im Internet verschiedenste Angaben, ab welcher Mittelbreite die Tourenski als Freetouring-Ski anzusehen sind.

Die meisten als „Freetouring-Ski“ angepriesenen Ski werden von 95 bis 105 mm Mittelbreite angegeben. Über 110 mm hinaus findet man relativ wenig Werbung und auch kaum Testberichte. Nun könnte man meinen, dass es wahrscheinlich nicht so große Unterschiede zwischen 95mm, 105mm Mittelbreite und 115mm Mittelbreite gibt. Und genau hier liegt der altbekannte „Hund“ begraben“, denn der Teufel steckt im Detail!

Neben der Mittelbreite eines Skis ist vor allem das Skiprofil ausschlaggebend für die Fahreigenschaften eines Skis. Und betrachtet man beispielsweise einen 105er mit einem 115er Ski, so erkennt man bei genauerem Hinschauen sofort den Unterschied: „Reinrassige“ Freetouring-Ski haben nämlich ein anderes Skiprofil, sprich eine ganz andere Form der Biegung. Und so unterschiedlich sie konstruiert sind, so unterschiedlich fahren sie sich dann auch.

Sinnvoll wäre es also, reine Freetouring-Ski von breiteren Skitouren-Ski zu unterscheiden.

In der Regel sind reine Freetourer eine Kombination aus Tip-Tail-Rocker und Flat-Camber-Konstruktion. Durch den Rocker-Anteil erhalten sie mehr Auftrieb und Drehfreudigkeit, die Flat-Camber-Konstruktion sorgt für etwas Kantengriff. Sie sind für den reinen Einsatz im Pulverschnee konstruiert und somit „Spezial-Ski“.

Im Gegensatz zu den breiteren Skitouren-Ski, die bis etwa 105mm breit sind. Sie sind nach wie vor „Allrounder“ und für alle Schneearten, haben aber je nach Breite etwas mehr Auftrieb. Sie besitzen meist ebenfalls einen Tip-Tail-Rocker (z.B. All-Terrain-Rocker, Tour-Rocker,…), dieser ist aber nicht so stark ausgeprägt. Die „effektive Kantenlänge“ ist ebenfalls größer, da der Ski auch bei härteren Schneeverhältnissen greifen muss. Diese Ski sind also als eierlegende Wollmilchsäue konzipiert.

Und als letzten Punkt kennzeichnet Freetouring-Ski das leichte Gewicht aus. Sie haben ein optimales Verhältnis von Fläche zu Gewicht, was vorrangig durch den Einsatz von Leichtwerkbaustoffen erzielt wird. Freetouring-Ski mit vergleichbarer Fläche sind in etwa um einen Kilo leichter als Freeride-Ski!

Fazit: Kein Vorteil ohne Nachteil

Vorteile Nachteile
Bei gutem Schnee das optimale Gerät für sehr viel Spaß. Surf-Feeling! Eingeschränkter Einsatzbereich: Lohnen sich nur an Tagen mit gutem Schnee.
Gegenüber „normalen“ Tourenskiern sind viel höhere Geschwindigkeiten aufgrund des größeren Auftriebs möglich. Super Flow! Bei hartem Schnee und bei Querungen haben sie den Nachteil, dass man den Ski seitlich aktiv stabilisieren muss. Auf Dauer kann das sehr anstrengend sein.
Spurarbeit: Freetouring-Ski sinken beim Spuren im Aufstieg weniger ein, was Kraft spart. Aufgrund der Leichtbauweise sind die Ski bei wechselnden Bedingungen (z.B. Bruchharsch) nicht so laufruhig und neigen zum „Flattern“.
In bereits verspurtem Gelände kann man aufgrund der großen Skifläche besser und stabiler abfahren. Eingeschränkte Nutzung von bereits vorhandenen Spuren im Aufstieg. Die Spur muss meist mit einem Ski verbreitert werden.

Reine Freetouring-Ski (über 110mm Mittelbreite) sind absolute Spaßgeräte, die bei abfahrtsorientierten Tourengehern nicht in der Sammlung fehlen sollten. Für Tage mit schlechtem Schnee oder bei Frühjahrsbedingungen benötigt man mindestens ein zweites Paar Ski. Die Skihersteller bieten mittlerweile so viele Modelle für unterschiedliche Einsatzbereiche an, sodass es sich auszahlt, sich mit der Materie genauer auseinander zu setzen (siehe dazu unsere Tabelle).

Mittelbreite Ski zwischen 90mm und 105mm Mittelbreite sind ein guter Kompromiss, aber eben keine reinen Freetouring-Ski. Auch wenn allgemein der Trend zu breiteren Skiern zu beobachten ist, scheint es dennoch, als gäbe es Vorbehalte gegenüber ganz breiten Freetourern. Da bleibt nur der Tipp, es einfach mal zu riskieren und wenn möglich, zu testen. Das Aha-Erlebnis wird sich einstellen!


Wer sich unsicher ist, sollte sich den Freetourer oder Tourenski auch einfach mal zum Testen ausliehen.

Text: Hannes Haberl, IVBV Berg- und Skiführer/bergsteigen.com

Pics: Sam Straus / www.sam-strauss.com

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