Reinhold Messner - Gemälde auf Burg Sigmundskron Reinhold Messner - Gemälde auf Burg Sigmundskron
26 September 2023

Wann hat man den Gipfel erreicht?

Die südtiroler Bergsteigerlegende Reinhold Messner soll nicht auf dem Gipfel der Annapurna gestanden sein, was steckt dahinter?

Der Medienaufschrei war gegen Ende der Sommerpause groß. „Bergmedien“ wie Stern, Bild, ORF und Kleine Zeitung berichten, der Südtiroler Ausnahmealpinist Reinhold Messner sei 1985 nicht auf dem Gipfel der 8091 Meter hohen Annapurna gestanden. Nach der Erstdurchsteigung der schwierigen Annapurna-NW-Wand stiegen Hans Kammerlander und Reinhold Messner in einem Gewaltakt am 24. April 1985 auf den Gipfel unmittelbar, bevor das Wetter umschlug. Ihnen sollen damals bei aufziehendem Sturm und ohne GPS exakt 65 Strecken-Meter und 5 (!) Höhenmeter gefehlt haben und deshalb verlor er jetzt seine zwei Rekordeinträge im Guinness Buch der Rekorde (erster Mensch auf allen 14 8000ern und erster Mensch, der ohne zusätzlichen Sauerstoff alle vierzehn 8000er bestiegen hat). Wie kam es dazu?

Verantwortlich dafür ist ein deutscher Bergchronist, aus dem nördlich von Basel gelegenen Lörrach. Bisher war Eberhard Jurgalski nur sehr wenigen Berginsidern bekannt. Nun hat der 71-Jährige, der selbst noch nie auf einem höheren Berg gestanden ist, auch seinen persönlichen "Gipfel" erreicht, denn der Stern titelt 

„Eberhard Jurgalski: Der Mann, der Reinhold Messner den Weltrekord nahm“.

Jurgalski hat sich seit dem Jahr 1981 auf Berg-Chronismus spezialisiert. In seinem Homoffice vergleicht er Berichte, Fotos und sonstige Daten von Bergsteigern und beschäftigt sich auch mit den Berggipfeln, genauer, wo deren höchster Punkt wirklich ist.

Wo ist der Gipfel der Annapurna

Bis zum Jahr 2019 war anscheinend unklar, wo der höchste Punkt dieses 8000ers genau war. Der Annapurna-Gipfel ist ein langgezogener, sich ständig verändernder Wechtengrat mit vielen ganz kurzen Auf- und Abstiegen. Jurgalski hat 2019 PDF-Dateien veröffentlicht, in denen er den genauen Gipfel der Annapurna aufgrund von Satellitenbildern und der gleichen festgelegt hat. Dann hat Jurgalski das Buch von Reinhold Messner „50 Years of Expeditions in the Death Zone" aufgeschlagen und stieß auf Seite 123-125 auf den Satz/Message, dass Hans Kammerlander und Reinhold Messner im Jahr 1985 vom Annapurna-Gipfel aus das Basislager gesehen hätten. Das Problem, von dem von Jurgalski 2019 definierten neuen höchsten Punkt der Annapurna soll man das damalige Basislager von Messner/Kammerlander gar nicht sehen können. Als Beweis präsentiert Jurgalski Fotos von anderen Bergsteigern, zeichnet Vergleichslinien auf Landkarten.

Soweit so gut, doch wer sagt uns

- dass der von Eberhard Jurgalski anhand von Fotos, Satellitenbildern und anderen Formalitäten der höchste Punkt der Annapurna ist?

- und, vielleicht noch wichtiger, dass dieser Punkt im Jahr 1985 (also vor 38 Jahren, wo vermutlich ein anderes Klima herrschte) auch der höchste Punkt war? Gerade bei einem Wechtengrat, so wie im Gipfelbereich der Annapurna, ändert sich der höchste Gratpunkt vermutlich laufend und +/- fünf Meter sind für Wind und Schnee in einer Saison ein leichtes Spiel.

True Summit

Bei der nächsten Bergwanderung in den Alpen heißt es ab sofort, genau aufpassen. In den Alpen haben wir zum Glück auf den Gipfeln Kreuze, die den höchsten Punkt markieren. Doch auch diese Kreuze stehen oft nicht an der wirklich höchstgelegenen Stelle und was ist, wenn ich als Gipfelstürmer drei Meter vor dem Kreuz stehen bleibe? Natürlich waren wir alle auf dem Gipfel, genauso wie Reinhold Messner und Hans Kammerlander auch im Jahr 1985 auf dem Gipfel der Annapurna gestanden sind. Warum? Weil das für uns heute und für Messner/Kammerlander damals im guten Glauben der höchste Punkt war und es auch leicht möglich gewesen wäre, den vermeintlich höheren Punkt ohne großen Aufwand zu erreichen.

Ganz anders ist das bei den vermeintlichen Gipfelerfolgen von Andy Holzer, der von sich behauptet auf dem Gipfel des Denali gestanden zu sein, oder Ueli Steck, der auch an der Annapurna in einer Nacht eine nicht dokumentierte Kletterei in der Südwand vollbracht haben soll. Auch hat Christian Stangl länger behauptet, 2010 auf dem Gipfel des K2s gestanden zu sein. Zwei Jahre später stand Christian Stangl aber ohne Zusatzsauerstoff doch auf dem höchsten Punkt des K2's.

Messners Antwort

Der bekannteste Bergsteiger der Welt nimmt es gelassen „Mag sein, dass heute ein anderer Punkt fünf Meter höher ist, als damals“, sagt er, „aber so darf man nicht messen. Wenn der aktuell höchste Punkt am Gipfel eine Wechte ist, ist die nicht begehbar. Das ist lebensgefährlich!“ sagt er dem Münchner Merkur. Zur Streichung seiner beiden Rekorde aus dem Guinness Buch meint er: „Das interessiert mich nicht, ob mein Name im Guinness-Buch steht“. Messner habe zudem nie behauptet, diese Weltrekorde jemals aufgestellt zu haben:

„Einen Rekord, den ich nie in Anspruch genommen habe, kann man mir auch nicht nehmen.“

Auch andere BergsteigerInnen verlieren Ihre Gipfelerfolge

Reinhold Messner und Hans Kammerlander sind nicht alleine, die Österreicherin Gerlinde Kaltenbrunner soll nicht mehr die erste Frau sein, die alle 14 8000der ohne Zusatzsauerstoff erreicht hat, der Netflix-Held Nirmal Purja war sogar im GPS- und Jurgalski-Zeitalter gar nicht auf den höchsten Punkten von Dhaulagiri und Manaslu, Ralf Dujmovits war auch nicht auf dem Manaslu Gipfel usw, usw. Anscheinend sehr wichtig, dass man sich jetzt den Namen Ed Viesturs merken soll, denn er ist laut Eberhard Jurgalski und Guinness der neue 8000er König;-)  Ed Viesturs hat sich mittlerweile zu Thema geäußert und meint: "Ich bin der festen Überzeugung, dass Reinhold Messner der erste Mensch war, der alle 14 Achttausender bestiegen hat und dass das auch heute noch anerkannt werden sollte". 

Quellen: stern.de, wikipedia, guinnessworldrecords.com, merkur.de, Kronen Zeitung, Eberhard Jurgalski

Anm.: 1985 hatte man weder GPS noch sonstige Ortungsgeräte am Berg dabei. In der heutigen Zeit, in der man das GPS am Handgelenk trägt, ist das natürlich eine andere Thematik, wobei der höchste Punkt der Annapurna nach dem nächsten Winter vielleicht schon wieder woanders ist. 


ps: Am 9.10. kommt Reinhold Messner mit seinem Vortrag WELTBERGE - Die vierte Dimension nach Graz



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