Seit mehr als einem Jahrhundert zieht im Wilden Kaiser der steile Ostabbruch der Fleischbank die Kletterer magisch an. Die anfangs fast unüberwindbare Ostwand unterhalb des bekannten Ellmauer Tors wurde zum Punkt, an dem alpinistische Meisterleistungen gesetzt wurden - das gilt auch heute noch.
Der aus Bayern stammende Roland Hemetzberger zählt zur "Next Generation" der Tiroler Kletterszene, da der Wilde Kaiser quasi sein Hausberg ist. Bereits vor einem Jahr eröffnete Roland an der Fleischbank einen genialen direkten Einstieg zur "Noichl Wörndl" Route und taufte seine neue vertikale Kreation auf den Namen "Relikt" (8b).
Schon damals fiel ihm der unten parabolartig überhängende Teil der Ostwand auf, durch die sich im Direttissima-Zeitalter Wulf Scheffler und Peter Siegert 1960 mit vielen Haken technisch hinauf nagelten. In diesem Teil gibt es in den fünf ehemals technisch gekletterten Seillängen nur alte Normalhaken. "Alle Längen sind nun frei und die schwerste davon sogar irgendwo im zehnten Grad, alles mit den alten vorhandenen Haken" waren die ersten Gedanken, die Roland auf dem Gipfel durch den Kopf gingen.
Die beiden Erstbegeher Scheffler und Siegert bewerteten ihre Route damals mit 6-/A2, nach ein paar Tagen waren sie schlussendlich auf dem Gipfel der Fleischbank. Zurück blieb aber ein Relikt, dass nur wenige Jahre die Aufmerksamkeit der alpinen Kletterszene erregte. Peter Siegert war es im übrigen auch, der vor fast genau 50 Jahre mit der Sachsen-Direttissima an der Großen Zinne Nordwand aufhorchen lies.
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Das Direttissima-Zeitalter war bald vorüber und der Rotpunkt-Gedanke setzte sich bei den jungen Kletterern durch. So verwundert es nicht, dass junge, leistungsstarke Athleten diese alten Technotouren sukzessive befreien. Da die Ethikfrage für die modernen Kletterer unerlässlich ist, wollte Roland diese Route im Originalzustand - also gesichert an über 50 Jahre alten, rostigen Normalhaken - frei klettern.
"Mit einem unglaublichen Gefühl stehe ich nun am Ende einer großen Reise, einer Reise in die wunderbaren heimischen Berge" so Roland über seinen Befreiungschlag, bei dem er keinen einzigen Bohrhaken in der 400 m hohen Wand setzte. Mit Handshake, einem lauten Jubelschrei und im Nacken eine riesige Gewitterfront, so verabschiedeten sich Roland und sein Kletterpartner vorerst wieder von der wunderbaren vertikalen Welt.
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