Der Fall geistert durch die Skifahrerwelt wie eine Urban Legend: Der uns allen wohl bekannte Max wird von seinen "besten" Freunden so lange bearbeitet, bis er endlich einwilligt, die Skitour am kommenden Wochenende zu führen. Unentgeltlich, reine Ehrensache.
Der Aufstieg ist problemlos, nur bei der Querung eines lawinengefährlichen Hanges bekommt Max ein mulmiges Gefühl. Er schlägt vor, die Tourenführung etwas abzuändern oder gar abzubrechen, der Hang sei jedenfalls zu gefährlich. Seine Freunde sind naturgemäß dagegen. Jetzt abbrechen, bei diesem schönen Wetter! Ist ja nur ein bisschen Pulverschnee! Da Max selbst meint, dass er ja nur unentgeltlich dabei und daher eh nicht so richtig der Skiführer sei, lässt er sich breitschlagen ... es kommt wie es kommen muss: Bei der Querung geht ein Schneebrett ab, dessen Sog die Hälfte der Gruppe mitreißt.
Ende der Geschichte, der Rest spielt vor Gericht.
Lassen wir Max und seine Gefährten überleben, wir brauchen sie noch in vielen Beispielen. Was wäre aber gewesen, wenn ...
Bei Max handelt es sich diesmal um einen sogenannten Skitourenführer aus Gefälligkeit. Das ist jemand, der unentgeltlich eine Skitour führt.
Da drängt sich gleich die erste Frage auf: Wie definiert sich ein Skitourenführer? Eine klare Trennlinie, ab wann jemand Skitourenführer ist und wann nicht, lässt sich nicht ziehen. Hier ist die Gesamtbeurteilung maßgeblich. Max müsste die Skitour leiten, also eine Überwachungs- und Leitungsfunktion ausüben. Auf der anderen Seite wäre Max dann nicht Skitourenführer, wenn er nur als erster in der Reihe geht oder aus Zufall einmal die Karte in der Hand hält.
Die Funktion Skitourenführer hat aber auch einen erheblichen Nachteil: Passiert ein Unfall, dann kann Max dafür verantwortlich sein. Er ist dann verantwortlich, wenn er schuldhaft gehandelt hat. Schuldhaft handelt er dann, wenn ihm sein Verhalten vorwerfbar ist. Um das festzustellen, vergleicht man das Verhalten des Schädigers mit demjenigen einer vergleichbaren Person. Wenn diese Person auch so gehandelt hätte, kann man das dem Schädiger nicht vorwerfen.
Als Haftungsmaßstab kein professioneller Skitourenführer herangezogen
Im Fall „Max“ wird als Haftungsmaßstab aber kein professioneller Skitourenführer herangezogen, sondern nur ein durchschnittlich erfahrener Skitourengeher. Mit anderen Worten: Wenn Max sich nicht so verhält wie ein durchschnittlich erfahrener Skitourengeher (z.B. in einer bestimmten Situation eine Skitour abbricht), dann hat er auch die Folgen zu tragen, wenn etwas schief geht.
Für unser Beispiel bedeutet das: Wenn selbst ein „normaler“ Skitourengeher erkennen würde, dass ein Hang lawinengeneigt ist, dann müsste das auch Max erkennen. Der Maßstab ist dabei etwas niedriger als beim professionellen Skitourenführer. Man könnte also stark vereinfacht sagen, dass Max in diesem Fall nur für die „großen“ Fehler haftet.
Anders würde die Sache aussehen, wenn Max ein professioneller Skitourenführer wäre, der seine Freunde unentgeltlich im Winter in die Berge führt. Max haftet dann schon bei kleineren Fehlern, die zusätzliche Ausbildung soll ja zum Nutzen seiner Freunde verwendet werden. Er muss sich also am Maßstab eines professionellen Schitourenführers messen lassen.
Und wenn sich die Gruppe über die zuerst lautstark, dann immer leiser von Max vorgetragenen Argumente hinwegsetzt? Oder wenn sich die Gruppe widersetzt? Grundsätzlich ist der Tourenführer nicht verpflichtet, die Tour auf Wunsch der Teilnehmer gegen seine eigene Risikobeurteilung durchzuführen oder eine einmal gewählte Tour abzuändern. Der Skitourenführer muss in diesem Fall schon aus Eigeninteresse seine Position durchsetzen! In einem Gerichtsverfahren könnte er sich durch den Verweis auf den „starken Gruppendruck“ sicherlich nicht von seiner Haftung befreien.
Ein Grund mehr, die Übernahme einer Führungsposition in einer Skitour zu überdenken
Noch eine kurze Anmerkung zur allgemeinen Haftung des Skitourenführers, die noch in einem eigenen Beitrag behandelt werden soll: Der Skitourenführer ist für die Planung, die Vorbereitung und die Durchführung einer Skitour verantwortlich. Er hat dabei dem Maßstab eines ordentlichen und gewissenhaften Skitourenführers zu entsprechen, der sorgfältig die Route aussucht und insbesondere die Wetterberichte kritisch überprüft. Auch muss bei der Routenplanung auf die Konstitution der Teilnehmer Rücksicht genommen werden. Hier ist natürlich an das "schwächste Glied" der Gruppe zu denken! Alles in allem unterliegt der Skitourenführer zahlreichen Verpflichtungen. Ein Grund mehr, die Übernahme einer Führungsposition in einer Skitour zu überdenken, wenn man sich der Aufgabe nicht gewachsen fühlt. Dies unabhängig davon, ob die Skitourenführung aus Gefälligkeit oder gegen Entgelt erfolgt.
Zahlreiche Beispiele für die Haftungsproblematik bei geführten Skitouren finden sich in dem ausgezeichneten Standardwerk "Handbuch des österreichischen Skirechts" von Dr. Josef Pichler und Dr. Wolfgang Holzer aus dem Jahr 1986.
Dr. Thomas Zivny
anwalt§bergsteigen.at
Der Bergsport in all seinen Facetten hat sich in den letzten Jahrzehnten zu einem Breitensport entwickelt, der nach wie vor eine unglaubliche Anziehungskraft ausübt. Die Zahl der Akteure steigt beständig, das Platzangebot in den Bergen ist allerdings von Natur aus beschränkt. Daraus ergibt sich ein gesteigertes Konfliktpotential, das nicht selten "im Tal", nämlich vor den Gerichten, ausgestritten wird.
In den ab 2004 auf bergsteigen.at erscheinenden juristischen Kurzbeiträgen sollen auf anschauliche Art und Weise mehr oder weniger alltägliche Rechtsprobleme anlässlich der Sportausübung in den Bergen (Wandern, Bergsteigen, Klettern, Schifahren, Schitourengehen) dargestellt werden.
Diese Beiträge erheben keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Im Einzelfall ist eine Besprechung mit einem juristischen Experten nicht nur ratsam, sondern auch erforderlich.
Service
Für eine kostenlose Erstberatung steht
Dr. Thomas Zivny$ unter [email protected] zur Verfügung.
Kommentare