Profi wider Willen
Stephan Siegrist ist Alpinist. Er ist in der Eiger Nordwand zuhause, doch am liebsten besteigt er unbekannte Berge in weit entfernten Ländern. Er bereist die Welt und erlebt in einem Jahr mehr Abenteuer als die meisten Menschen in einem ganzen Leben. Seit 20 Jahren begleitet ihn dabei die Schweizer Bergsportfirma Mammut. Eine langjährige Zusammenarbeit, die ihresgleichen sucht und in der die Grenzen zwischen Sport, Geschäft und Freundschaft längst verschwommen sind.
Dezember 1995: Der damals 23-jährige Zimmermann Stephan Siegrist, kurz Stef, sass in seinem Zelt in Patagonien. Es war seine erste Expedition in diesen entlegenen Erdteil und er war gekommen, um an den weltberühmten Granitnadeln zu klettern. Sein Expeditionspartner, der Schweizer Fotograf Thomas Ulrich, hatte den Trip nach Patagonien geplant und die Ausrüstung besorgt: zwei komplette Outfits von zwei Bergsportmarken – unbezahlbar für die jungen Männer. Sie hatten die funktionellen Jacken und Hosen im Austausch gegen versprochene Kletterbilder erhalten. Doch beim ersten Versuch mit Outfit Nummer eins hatte ein Unwetter den beiden Kletterern einen Strich durch die Rechnung gemacht. Als Stef für den zweiten Anlauf sein Zelt verliess, trug er eine brandneue orange-blaue Extreme-Kombination von der Schweizer Marke Mammut. Irgendwie ungewohnt, irgendwie hässlich, doch hoch funktionell und von weitem sichtbar. Das Fotoshooting wurde ein Erfolg und die beiden Kletterer kehrten nach einer erfolgreichen Expedition mit tollen Bildern für Mammut zurück.
Stef brachte nicht nur Fotos von seiner Expedition mit, sondern er gab den Produktenwicklern bei Mammut auch detaillierte Rückmeldungen über die Funktionsweise seiner Ausrüstung in extremen Bedingungen. So entwickelte sich eine Zusammenarbeit auf Materialebene, von der beide Seiten profitierten. Im Alter von 26 Jahren machte er schliesslich das Hobby zum Beruf und wurde Bergführer. Von einer Profilaufbahn wollte er erst einmal nichts wissen.
Im Jahr 1999 wurde Stef jedoch diese Entscheidung aus der Hand genommen, als er die Einladung zu Eiger Live erhielt, einer 30-stündige Live-Reportage des Schweizer Fernsehens. Zusammen mit drei anderen Alpinisten (Ralf Dujmovits, Evelyne Binsack und Hansruedi Gertsch) durchstieg Stef als jüngster Kletterer der Seilschaft die Eiger Nordwand, während hundertausende Zuschauer gebannt am Bildschirm zuschauten. Dabei diente das TV-Ereignis nicht nur dem noch medienscheuen Jungalpinisten als Sprungbrett zur Profikarriere sondern lenkte auch das Auge der Öffentlichkeit auf seine orange Mammut Extreme Ausrüstung. Auch international markierte das Jahr 1999 den Durchbruch für den 27-jährigen: die geglückte erste Winterbegehung der Cerro Torre-Westwand in Patagonien sicherte Stef eine Präsenz im National Geographic und trug seinen Namen über den deutschsprachigen Raum hinaus.
In den Folgejahren verfestigte sich die Zusammenarbeit mit dem Hauptsponsor immer mehr. Während es Stef in ferne Gebirge, in den Himalaya und immer wieder nach Patagonien zog, zierten Bilder seiner Besteigungen auch immer öfter die Werbeinserate von Mammut. Spiegel Online schrieb sogar einst, der Bergsteiger arbeite nebenher als Model. So wurde Stef Siegrist für viele Schweizer gewissermassen zum Gesicht der Marke. Während die Verbindung zwischen Marke und Markenbotschafter in vielen Fällen auf dieser oberflächlichen Ebene blieb, ging das Verhältnis von Stef und Mammut tiefer. Als Stef zu Mammut stiess, waren bei der Firma rund 60 Personen beschäftigt, von denen er jede persönlich kannte. Eine einzige Person war damals zuständig für Marketing, PR, Events, Messen und Sponsoring .
Während Stefs alpinistische Taten international immer mehr Anerkennung fanden, erlebte auch die Marke Mammut ein enormes Wachstum. Aus 60 Mitarbeitern wurden 600, aus 20 Millionen Umsatz wurden 200. An dem freundschaftlichen Verhältnis änderte der beidseitige Erfolg jedoch nichts. „Als junger Mensch kannte ich noch jeden persönlich“, erinnert sich Stef. „Mittlerweile kenne ich zwar immer noch viele Leute, aber um diese zu treffen muss ich schon an einigen Büros vorbei.“ Man trifft sich nicht nur im Büro, sondern auch gerne mal zum Klettern oder auf einer Bergtour. Die starke Affinität vieler Mitarbeiter für den Bergsport schafft eine gemeinsame Basis, die weit über das Geschäftliche hinaus geht.
Der heutige CEO Rolf Schmid stiess 1996, ein paar Monate nach Stef Siegrist, zu Mammut. Durch die langjährige Zusammenarbeit entstand zwischen den beiden Gallionsfiguren der Marke ein sehr freundschaftliches Verhältnis – obwohl Schmid gemäss Stef „anfangs gar nichts mit Bergsteigen am Hut hatte.“ Deutlich wurde dies zum ersten Mal nach einer missglückten Expedition zum Gasherbrum (8080 Meter) im Jahr 2006. Stef hatte die Lage vor Ort als zu gefährlich eingestuft und war umgekehrt, sein Expeditionspartner Ueli Steck war weiter gegangen und hatte den Gipfel erreicht. Nach seiner Rückkehr in die Schweiz plagten Stef Zweifel, ob er mittlerweile zu wenig draufgängerisch für ein Sponsoring sei. Bei einem gemeinsamen Abendessen mit Rolf Schmid erwies sich diese Sorge als unbegründet. Mammut strebt mit den Sportlern langfristige Zusammenarbeiten an, oder wie Rolf Schmid es ausdrückte: „Als Athlet nutzt du uns nur etwas, wenn du am Leben bist“.
Als Stef vor zwanzig Jahren zu Mammut stiess, gab es kein strategisches Athletensponsoring in der heutigen Form. Die Unterstützung erfolgte vor allem über Material, Honorare gab es eher selten. Neben Stef wurden Evelyne Binsack und die Sportkletterer Yves und Claude Remy unterstützt. Erst mit Amtsbeginn von Rolf Schmid und einer stärkeren Ausrichtung auf Marketing wurde auch das Team der Athleten ausgebaut. In der Schweiz, aber auch in anderen Ländern, wurden Bergsportler systematisch unterstützt. Daneben wurde das Mammut Pro-Team, bestehend aus Sportlern mit internationaler Relevanz, aus der Taufe gehoben – mit Stef an der Spitze. Über die Jahre hinweg fanden viele bekannte Namen ihren Weg in das Pro-Team: David Lama, Anna Stöhr, Dani Arnold, Juliane Wurm, Aljaz Anderle, Denis Burdet, Jakob Schubert, Stef Davis, Nina Caprez, Cedric Lachat, Dean Potter, Giovanni Quirici und viele weitere. Als „alter Hase“ im Team fiel dabei die Verantwortung auf den zahlreichen Teamtrips jeweils Stef Siegrist in den Schoss. Ob Trad climbing in Kirgistan, Bergsteigen im Himalaya oder Bouldern in Wien, Stef war für alle Teilnehmer die Ansprechperson. Auch auf seinen eigenen Expeditionen waren oft Athleten aus dem Pro-Team dabei.
Bei allen Reisen in ferne Ländern hat es aber ein Schweizer Berg Stef besonders angetan: der Eiger. Die Nordwand hatte er als 20jähriger zum ersten Mal durchstiegen, über die Jahre folgten weitere 32 Mal. Er bestieg den Berg in der Ausrüstung der Erstbesteiger, liess sich sich für Eiger Live von Fernsehkameras filmen und trug einen 8kg schweren Kamerawürfel nach oben. Für eine Produkteinführung seines Sponsors Mammut hielt er sogar 2010 eine Woche lang täglich einen Vortrag in der Station Gletschermeer der Jungfraubahn – eine Zeit, die Stef rückblickend als „Woche der Tunnelratte“ bezeichnet. Somit war es im Frühjahr 2015 auch nicht verwunderlich, dass Rolf Schmid ihm vorschlug, zum „gemeinsamen“ 20. Firmenjubiläum den Eiger zu besteigen. Stef stimmte zu und wählte für den Aufstieg die Westflanke des Berges. Was er dem unter Höhenangst leidenden Schmid hingegen bis zum Gipfels verschwieg, war dass die Abstiegsroute über die ausgesetzten und technisch anspruchsvolleren Eigerjöcher führte. Es wurde eine lange und spektakuläre Jubiläumstour, an die sich auch Rolf Schmid noch lange gerne erinnern wird. „Es ist schön zu sehen, dass sich nicht nur Mammut entwickelt hat, sondern auch der CEO“, freut sich Stef rückblickend. An beidem war er selbst nicht ganz unschuldig.
Auch nach 20 Jahren im Profisport denkt Stef nicht daran kürzer zu treten. Aktuell hat es ihm die alpinistisch noch relativ jungfräuliche Bergwelt Kaschmirs angetan. „Dort stehen massenhaft wunderschöne Berge, die niemand in Europa kennt und die noch komplett unbestiegen sind.“ Mammut wünscht Stef auf jeden Fall viel Erfolg und Spass bei seinen weiteren Projekten und freut sich auf die kommenden 20 Jahre.
Web: Stephan Siegrist
Kommentare