Dort, wo der Hintertuxer Gletscher das schöne Tuxtal schließt, wo jährlich Abertausende Skifahrer das ganze Jahr über ihrem Vergnügen nachgehen, wo Olperer, Gefrorene Wand und Hoher Riffler thronen, dort ragt auch die Lärmstange mit ihrer überhängend gelben Ostwand steil und unnahbar in den Himmel. Eine 350 Meter hohe Felswand aus edlem Hochstegen-Marmor, die schon so manche Kletter-Größe anlockte und dann doch scheitern ließ. Sogar Hermann Buhl, Erstbegeher des Nanga Parbat und einer der herausragendsten Kletterer aller Zeiten, kam keine drei Seillängen weit.
Ein Mythos
Erst 1982 gelang es Darshano L. Rieser und Paul Koller, die Lärmstangenwand in äußerst schwieriger und abenteuerlicher Freikletterei zu durchsteigen. Seither sind fast dreißig Jahre vergangen, viele Zweitbegehungsversuche gescheitert, alle Wiederholungsanwärter abgeblitzt. Ein Mythos begann sich um die Route zu ranken, der so manchen Spitzenkletterer infizierte und eine erste Wiederholung zur geheimen Mission werden ließ. Sowohl bei Weltklasse-Sportkletterern als auch bei erfahrenen Alpinkletterern. Aber jeder Versuch, der wilden Felsmauer eine zweite Begehung abzuringen, endete damit, dass die jeweilige Seilschaft von der nervenaufreibenden Steilheit der Wand, die am Anfang und Ende der Route noch dazu mit tückischer Brüchigkeit aufwartet, zum Rückzug gezwungen wurde.
Call for Reini
Doch seit Samstag dem 25. Juni 2011 ist der Bann gebrochen. An diesem besagten Wochenende tat sich eine besonders durchschlagkräftige Seilschaft zusammen: einerseits der Holländische Elitemann Jorg Verhoeven, Weltcup-Gesamtsieger 2008, vielfacher Kletterpartner des österreichischen Aushängeschilds David Lama, mit dem ihm u. a. eine sogar von Reinhold Messner beachtete alpine Erstbegehung an der Sagwand gelang, - und andererseits der Vorarlberger Spitzenkletterer Mark Amann, der sich als internationaler Kunstwand-Routensetzer und Österr. Meister im Speedklettern einen Namen gemacht hat. Beide sind hoch motiviert und verfügen offenbar über ein ziemlich intaktes Nervenkostüm. Als Jorg und Mark unter der überhängenden Wand stehen, die sich nach oben hin in weit ausladende Dächer verliert, bemerken sie, dass sie die Routenskizze vergessen haben, und so kommt es, dass sie sich mehrmals direkt aus der Wand per Telefon von Reini Scherer, dem Trainer der Tiroler Kletter-Elite, Hinweise zum Routenverlauf aus dem „Zillertaler Kletterführer“ vorlesen lassen und somit über die unübersichtlich splittrigen Einstiegsseillängen, den sodann folgenden, kompakten und relativ festen Mittelteil, weiter über den exponierten Quergang zum Point of no Return, über die Schlüsselstelle zum überhängenden Riss samt Dach, und schließlich über die extrem brüchig-steile Schlusswand in achteinhalb Stunden - übrigens exakt derselben Zeit, die damals auch von den Erstbegehern benötigt wurde – den Gipfel erreichen.
Großer Respekt
Jorg und Mark sprechen mit großem Respekt von dieser kühnen Route, die von Darshano und Paul vor 29 Jahren ganz ohne Bohrhaken, mit nur sieben Normalhaken zur Zwischensicherung, in extrem frecher Freikletter-Manier eröffnet wurde. Jorg – der übrigens kurz nach der spektakulären Wiederholung dieser legendären Route in Innsbruck vor 3000 Zusehern den Mammut-Blocmaster-Bewerb gewann – gibt zum Schwierigkeitsgrad der Kletterei in der Lärmstangenwand an, dass man „nervlich voll drüberstehen muss und den 8. Grad astrein klettern können sollte“, um dem „Himmelsfahrt-Kommando“ in dieser Nerven-Killer-Route gewachsen zu sein. Für ihn war es jedenfalls „die wildeste und brutalste Alpinroute die er je gemacht hat“, wie er einem Freund gleich nach der Begehung gestand.
Goldrausch
So wie 2004 auch mit der Route "Goldrausch" eine der vielen Spitzenrouten von Darshano L. Rieser wiederholt wurde - übrigens ebenfalls erst nach 22 (!) Jahren - ist mit der Wiederholung der Lärmstange ein weiteres Husarenstück aus dem rund 300 Freikletter-Erstbegehungen umfassenden Gesamtwerk des Zillertaler Alpinkletterers, der übrigens bei all seinen Neutouren auf Bohrhaken verzichtet, gefallen. Man darf gespannt sein, ob bis zur nächsten Wiederholung der Lärmstange, dieser alpinhistorisch so bedeutenden Kletterroute, wieder Jahrzehnte vergehen werden, oder ob das Eis nun endgültig gebrochen ist.
Zusammenfassung: Darshano L. Rieser
Routeninfos Lärmstangenwand:
- Location: Österreich, Alpen, Zillertaler Alpen, Tuxer Alpen
- Gipfel: Lärmstange, Gipfelhöhe 2686m, Wand/Sektor: Ost-Wand
- Ausrichtung: Ost Gestein: Kalk
- Erstbegehung: am 06.11.1982 im Stil rotpunkt durch Darshano L. Rieser und Paul Koller in 8,5 h
- 2. Begehung: Jorg Verhoeven und Mark Amann 25.6.2011 in 8,5 h
- Schwierigkeit UIAA: 7+/8- (VII+/VIII-), frei, 7+/8- oblig.
- Wandhöhe: 350m, Routenhöhe: 350m,Klettermeter: 430m
- Hinweis: (genau genommen ist es edler Hochstegen-Marmor!)
- Längenkategorie: 5-10 Seillängen, Einstufung: Testpiece
- Material: Die Erstbegeher schlugen zur Standsicherung 10 Normalhaken (3 belassen) und legten einige Keile und Friends. Zur Zwischensicherung schlugen sie 7 Normalhaken (5 belassen) und legten 16 x einen Keil (2 belassen) und 8 x einen Friend.
- Standplätze: teils NH, teils selbermachen
Hinweise & Charakter: Zur Zeit der Erstbegehung wohl eine der anspruchsvollsten Routen der Ostalpen. Hohe, kontinuierliche klettertechnische Schwierigkeiten, große Anforderungen an Moral und Nerven. Können im Umgang mit teils brüchigem Gestein bei gleichzeitiger Kletterei im VII. Schwierigkeitsgrad erforderlich. Etwa 150 m Wandhöhe komplett überhängend. Sicherungsmöglichkeiten gut. Schlüsselstelle: 10m 7+/8- run out.
Webtipp: Darshano.com
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