Paula Hufnagl, Heidi Schrottmayer, Jan Haiko und Matthias Layr, vier WettkampfkletterInnen aus Wien, haben die letzten eineinhalb Monate in Westeuropas Klettergärten verbracht, um festzustellen, wie groß der Unterschied zwischen Halle und Fels wirklich ist.
Zu welchem Ergebnis sie gelangten und wie es ihnen am Fels so erging, erzählt Jan Haiko:
Ich bin ein Hallenkletterer
Ich bin ein Hallenkletterer. So sehr ich mich auch immer gegen diese Behauptung gewehrt habe, es stimmt. Als Kind hab ich mit dem Klettern in der Halle begonnen und bis jetzt nicht damit aufgehört. Als Wettkampf¬kletterer verbringe ich naturgemäß die meiste Zeit in der Halle. Ja, natürlich war ich auch draußen. Selten, aber doch. Anfangs noch nicht ganz so euphorisch (immerhin muss man da etwas das sich Zustieg nennt bewältigen und die Griffe sieht man auch nie so richtig), aber mittlerweile vertrete auch ich die Meinung, dass echtes Klettern, zumindest so wie ich den Begriff verstehe, am Fels stattfindet. Um so mehr schmerzt es, als Hallenkletterer abgestempelt zu werden. Ist diese Bezeichnung in der Kletterszene doch fast mit einem Schimpfwort gleich zu setzen. Sämtliche Leistungen, die ich beim Klettern erbracht habe, habe ich Indoor geleistet. Ein Punkt der mich schon seit längerem wurmt. Höchste Zeit also, das zu ändern.
Zusammen mit drei meiner TrainingsgruppenkollegInnen und anderen Freunden entsteht der Plan, in den Sommermonaten einen siebenwöchigen Klettertrip durch Österreich, die Schweiz, Frankreich und Spanien zu machen. Unsere Ziele sind das Ötztal, das Averstal, Céüse, die Tarnschlucht und Siurana. Außerdem wollen wir noch einige längere Routen in der Schweiz gehen. Somit wäre dann das ganze Sportkletterspektrum abgedeckt.
Ötztal
Wo kann man als Hallenfreak einen Outdoorurlaub besser beginnen als an der Engelswand im Ötztal. Wie eine Kletterhalle im Freien mutet diese wunderschöne Granitwand an, die sich senkrecht aus einer ebenen Wiese erhebt. Abgesehen von der perfekten Absicherung erinnert vor allem das abgegrenzte Jauseneck mit seinen Tischen und Bänken sowie dem Brunnen an die gewohnten Hallenverhältnisse. Außerdem gibt es noch ein riesiges Topo im Jauseneck welches das „Mitschleppen“ eines Führers ad absurdum führt. Nach unserem ersten Felstag lässt sich festhalten, dass wir hoch motiviert sind und dass uns die Haut weh tut. Tja, das gehört wohl dazu, so wie die Zustiege, die wir allerdings bemüht waren möglichst kurz zu halten. Unser Auswahlverfahren in punkto Klettergebiete bestand nämlich unter anderem aus einem beinharten Zustiegscheck. Fünf Minuten waren okay, zehn zach und fünfzehn schon fast ein unüberwindbares Hindernis. Alles darüber wurde als Zumutung empfunden und war damit gestorben.
Wie um diese Auswahlverfahren zu strafen gelang es uns dann am Niederthai einige Kehren zu früh zu parken und den Zustieg auf geschlagene 40 Minuten zu verlängern. Ein herber Rückschlag, der nur ertragbar war indem wir ihn als Training für Cèüse abbuchten.
Nach insgesamt fünf Tagen „Aufwärmen“ fuhren wir hoch motiviert weiter in Richtung Schweiz. Vor Ort mussten wir uns allerdings dem Wetter beugen und beschlossen, gleich weiter nach Frankreich zu fahren.
Le Tarn
Wenn man hier keine Lust aufs Felsklettern bekommt dann ist man wohl hoffnungslos verloren. Zum Glück sind wir fast ausgeflippt. Die unglaublichen Felsformationen, die überwältigende Flusslandschaft, die majestätisch über einem kreisenden Geier bildeten zusammen mit dem, zum Glück, guten Wetter ein unbeschreibliches Erlebnis. Gleich am ersten Tag wurde ich mit meinem ersten 7c flash am Fels für die lange Fahrt belohnt. Am nächsten Tag machten wir uns dann schon fast übermotiviert an die wirklich schweren Routen. Martin und Heidi gelingt ein 7c, Matthias und ich versuchen uns an einem 8a. Bei der Schlüsselstelle, einem Sprung, machen wir dann Bekanntschaft mit einer weitern Eigenart des Felskletterns: scharfe Griffkanten. Was bei Matthias mit stark abgewetzten Fingern und einem Durchstieg endet, verläuft bei mir nicht ganz so glimpflich. Einen besonders ambitionierten Versuch muss ich mit einem gehörigen Stück Haut meines rechten Mittelfingers bezahlen. Blutüberströmt und schwer traumatisiert muss ich die nächsten zwei Tage pausieren bis ich dann unter dem Einsatz von Unmengen an Tape wieder klettern kann. Ich ertappe mich bei „so was wäre in der Halle nicht passiert“ Gedanken. Ein schwerer Rückschlag.
Die Rasttage verbringen wir badend, lesend und slacklinend am Tarn. Heidi schafft die Überquerung der über den Tarn gespannten Line als Erste, alle andern verbringen mehr Zeit im Wasser als auf der Slackline.
Mit neuer Energie und Haut geht’s wieder an den Fels. Während Heidi und Matthias sich an einem zwei Seillängen 7c+ versuchen, quält sich Martin in einem 8a, in den ich erst einsteige nach dem er mir versichert, dass es nur kleine Griffe gibt an denen ganz sicher keine Fingerteile hängen bleiben. Mit einem Durchstieg werde ich dann für meinen Finger entschädigt. Allerdings geht es auch dieses Mal nicht ohne Zwischenfall über die Bühne. Ich büße zwar keine weiteren Körperteile ein, stelle aber nach Bewältigung der Schlüsselstelle fest, dass mir Martin nicht die ganze Route eingehängt hat und ich im Wahn allen unnötigen Ballast von meinem Gurt zu entfernen, auch meine Expressschlingen am Wandfuß zurückgelassen habe. Zwei Haken trennen mich noch vom Top und in einem Anflug von Wagemut beschließe ich, trotzdem weiter zu klettern. Am Top angelangt wird der Jubel aber schnell durch die Erkenntnis, dass mich ca. sieben Meter Platte vom letzten Haken trennen, verdrängt. Dank Martins guter Sicherungstechnik überlebe ich aber auch dieses, nur am Fels mögliche, Abenteuer.
Verdon ein Graus für HallenkletterInnen
Nachdem uns das schlechte Wetter sowohl vom Bouldern, wie auch vom Mehrseillängenrouten klettern in der Schweiz abgehalten hatte, wollen wir zumindest letzteres nachholen. Verdon schien uns da ein recht passendes Ziel. Nach Les Gorges du Tarn, war Les Gorges du Verdon schon die zweite Schlucht in der wir uns das Hallenklettern austreiben wollten. Landschaftlich fand ich die Verdonschlucht fast noch beeindruckender als die Tarnschlucht. Was in der Tarnschlucht noch verspielt und einladend wirkte, war hier schon eher einschüchternd und Respekt einflössend. Ich, der ich die Kletterhalle Wien schon als hoch empfunden habe, war komplett hin und weg von der mehrere hundert Meter hohen Wand die sich da zu meinen Füßen zum Verdon hinabstürzte. Ein weiters Merkmal der Verdonschlucht ist, dass man zuerst runter und dann rauf muss. Also umgekehrt als sonst. Nach dem Abseilen gibt es nur noch einen Weg raus aus der Wand und der führt nach oben. Meist in recht gerader Linie und so gut wie immer über platteste Platten. Ein Graus für HallenkletterInnen die sich meistens eher im steilen Gelände zu hause fühlen. Am beeindruckensten fand ich die Route L’ange en décomposition. Ein ca. hundert Meter langer in drei Seillängen zu kletternder 7a. Vergleichsweise kurz, ist diese Route an Ausgesetztheit kaum zu überbieten. Vom Start weg, hat man bis zum Ende, ständig mehrere hundert Meter Luft unter den Kletterschuhen. Ein unbeschreibliches Gefühl, das definitiv in keiner Kletterhalle dieser Welt nachzuahmen ist.
Nach diesem Erlebnis ging es dann, dem Verdon folgend, nach Aiguines, wo uns wieder klassisches Sportklettern erwartete. Von den Höhen beflügelt und durch das Plattenklettern mit einer noch nie da gewesenen Fußtechnik ausgestattet, machten wir uns wieder ans „projektieren“ (ich glaub, dass in den gesamten 7 Wochen niemand von uns öfter als viermal in eine Route eingestiegen ist. Es gab einfach zu viele Routen die noch auf uns warteten). In diesem Sinne ließ sich Matthias auch nicht lange aufhalten und flashte die erstbeste 8a die sich ihm in den Weg stellte. Wir andern mussten da schon etwas mehr arbeiten bevor uns unsere Projekte gelangen.
Céüse
Jetzt ist es also soweit. 40 Minuten Zustieg liegen vor uns. Zum Glück kann man die Wand schon von unten sehn, ohne diesen motivierenden Anblick wären wir wohl nicht losgegangen. Oben angekommen stellten wir fest, dass es entgegen unserer Befürchtungen erstaunlich „leer“ war. Leer stimmt nicht ganz, aber es war erträglich. Angesichts der unglaublichen Wände und der Fülle an erstklassigen Routen, liefen wir alle zu neuerlicher Topform auf. Während Paula sich erstmals in einem 7c+ am Fels versuchte, gelangen Matthias und mir je ein 8a flash. Gesamt gesehen markiert Céüse unseren Leistungshöhepunkt. Die langen und meist überhängenden Routen kommen unserem, eher kraftigen Hallenstil sehr entgegen, außerdem hatten wir nur selten Probleme die richtigen Griffe zu finden.
Zu kurze Erfahrung
Zum Abschluss kletterten wir dann noch eine Mehrseillängenroute aufs Céüseplateau. Ich möchte jetzt nicht wie irgendein Tolkienfanatiker klingen, aber das Plateau lässt sich einfach am besten mit dem Auenland vergleichen. Bei so einem Anblick lässt sich der kalte Wind, der hier oben des Öfteren weht, leicht ertragen. So leicht sogar, dass man bis zum Sonnenuntergang oben bleibt und dann im Dunkeln über den Klettersteig abseilt. An dieser Stelle möchte ich anmerken, dass die mit 30m angegebene Höhe des Abseilstandes nicht korrekt ist. Mittlerweile schon im stockfinsteren, mussten wir feststellen, dass die Höhe mindestens 45m beträgt, da wir mit einem 70 Meter Seil immer noch ca. 5 Meter vom Boden entfernt waren und so gezwungen waren in den nahe gelegenen Klettersteig zu pendeln, um die letzten Meter über die Klampfen zurück zu legen.
Wieder hoch motiviert für die Halle
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass wir wieder hoch motiviert sind in der Halle zu trainieren. Für den Fels versteht sich und natürlich auch für die Wettkämpfe. Allen jenen, denen es bisher so ergangen ist wie mir, kann ich nur empfehlen, sich auch auf den Felsen einzulassen. Sich nicht von zerstörten Fingern, weiten Hakenabständen, Zustiegen und andern Unannehmlichkeiten, aufhalten zu lassen und die Wände die da draußen stehen zu euer Spielwiese zu machen. Dabei gilt es aber immer, sich verantwortungsbewusst zu verhalten. Sowohl der Umwelt, wie auch euren Mitmenschen gegenüber.
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