Es gibt Dutzende, ja vielleicht sogar Hunderte von Kletterern, die den 10. Schwierigkeitsgrad in alpinem Gelände bereits gemeistert haben. Professionelles Training, gebohrte oder geklebte Haken und kurze Abstände erschließen dem ambitionierten Sportkletterer die Tür in schweres alpines Gelände.
Doch in den letzten Jahren fordern vor allem die gereiften Profis eine bewusste Auseinandersetzung mit der Ethik und dem Stil des Kletterns im Allgemeinen und des Alpinkletterns im Speziellen. Und die jüngeren Athleten ziehen zusehends nach. Spätestens dann, wenn anspruchsvolle alpine Klassiker saniert, also mit neuen Bohrhaken ausgestattet werden, fragt sich die Szene zu Recht, ob dabei der Charakter einer Route gewahrt bleiben kann.
Simon Gietl, südtiroler Bergführer und Mitglied des internationalen SALEWA alpineXtrem Teams stellt sich der Diskussion auf seine eigene Art und Weise. Er hat als 18-jähriger vergleichsweise spät mit dem Klettersport begonnen und sich von Anfang an den alpinen Herausforderungen gestellt.
Matterhorn, Piz Badile und die Nordwand des Eiger erklimmt er innerhalb von sechs Tagen. Für alle Nordwände der Drei Zinnen braucht er gerade mal 17 Stunden. Er wiederholt Extremklassiker wie die „La perla preziosa, 9+“ am Hieligkreuzkofel onsight. Und auch wenn er sich in unbekanntes Terrain begibt, verhält er sich gerne treu zur Tradition.
„Als ich die Wand oberhalb von Corvara das erste Mal sah, war mir sofort klar: Wir sind im Herzen der Dolomiten, da lassen wir die Bohrhaken gefälligst zuhause!“ erinnert sich der 26-jährige Südtiroler.
Für Hardmover gehört eine alpine Erstbegehung im 10. Grad zum Pflichtprogramm
Am 1. Juli 2010 gehen Simon und sein Seilpartner Klaus Gruber auf ihren neuen Spielplatz. 200 Meter Wandhöhe und Schwierigkeiten bis 10- in nicht immer bombenfestem Dolomit warten auf die beiden Athleten. Die Crux dieses Spiels beruht auf der Tatsache, dass beide von Anfang an nur Friends und ein paar Normalhaken im Rucksack haben. Und dass die laut Simons Aussage „ziemlich steile Wand“ ihre größten Schwierigkeiten bereits in der Einsstiegsseillänge offenbart. Satte 40m in 9+/10- Gelände, das Ganze von unten erstbegehen und mit traditionellen Mitteln absichern, so lautet der Plan.
Für echte Hardmover gehört eine alpine Erstbegehung im 10. Grad heutzutage zum Pflichtprogramm. Doch je anspruchsvoller die Routen und je höher die Schwierigkeiten, desto relevanter wird auch die Frage nach Sicherungsethik und Begehungsstil. Simon Gietl beantwortet sie oberhalb von Corvara (Dolomiten). Wiederholer werden in „Fairplay“ (10-) keinen einzigen gebohrten Haken finden.
Dicke Unterarme und fettes Grinsen im Gesicht
Mit dicken Unterarmen und einem fetten Grinsen im Gesicht beäugen die beiden vom ersten Stand aus den weiteren Verlauf der Route. „Wir hofften, dass es ein wenig leichter werden würde und dass wir dabei trotzdem genug Herausforderung finden“ erzählt Simon.
Als er am Abend das Topo der Route zeichnet, zeigt sich, wie nahe Wunsch und Wirklichkeit manchmal beieinander liegen: 2. SL 8+/9-, 3. SL 7 glatt, 4. SL 8, 5. SL 8-, 6. SL 8, 7. SL 4+ lautet der Bewertungsvorschlag der beiden Erstbegeher.
Nach drei Tagen Ausbouldern der Schlüsselzüge konnte Simon am 8. Oktober 2010 alle sieben Seillängen rotpunkt klettern. Wiederholer sollten das „Fairplay“ zur Beruhigung ihrer Nerven mit einem kompletten Satz Friends und Keilen angehen. Die Stände sind mit Normalhaken gesichert. Möge das Spiel beginnen.
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