Daily Dose of Luck (c) Martin Feistl Daily Dose of Luck (c) Martin Feistl
28 Januar 2024

Daily Dose of Luck

Martin Feistl klettert ohne Seil in’s Unbekannte

Oft bin ich noch nicht im Pinnistal gewesen, aber doch jedes Mal mit offenen Augen hineingelaufen. Überhaupt leide ich an dem Drang mit einer fast krankhaften Kindlichkeit immer und überall in den Bergen Linien in meinem Kopf zeichnen zu müssen. Jeder noch so kleine Zapfen wird registriert und in Gedanken über feine Risse mit anderen Eispolstern kombiniert. Am Tag der Erstbegehung von „Männer mit Moral“ (170m, M8, WI 6, trad) ist mir zum ersten Mal die mächtige Säule hoch oben in der Westwand der Hammerspitze aufgefallen. Bei der aktuell beginnenden Warmphase war klar, ich habe noch genau den nächsten Tag, an dem ich da einsteigen möchte. Nachdem die spontane Partnersuche für den nächsten Tag ergebnislos war, komme ich zu dem Entschluss: Wahrscheinlich ist es weniger riskant da morgen ohne Seil einzusteigen, als übermorgen mit. Ich hätte auch Ausrüstung zum Selbstsichern mitnehmen können, aber irgendwie reizt mich der Gedanke im Winter gesichert solo zu klettern gar nicht. Dauert mir alles zu lange und im Eis stürzt man ja eh nicht. Hab‘ ich mal so gelernt. Und aus Gründen, die mir selbst nicht immer ganz klar sind, auch erfolgreich umgesetzt. Überhaupt versuche ich bei den allermeisten Routen, die ich alleine klettere, gleich auf alles zu verzichten, das mir mehr Sicherheit geben kann als der Glaube an meine eigenen Fähigkeiten. Physisch, vor allem aber auch mental. Is wahrscheinlich so’n Ego-Ding.

Ich fange an, los zu stapfen

Ich sitze im ersten Bus, der ins Stubai fährt und laufe fast 3 Stunden mit unzähligen Spitzkehren durch das fast schon unerhört versteckte Couloir zum Einstieg. Ich denke darüber nach wie ironisch das ist, dass ich Eis suche, und das letzte was ich finden möchte – eine Skiabfahrt – dabei herausspringt. Dabei mag ich doch Skifahren gar nicht. Mit den riesigen Stollen an den Fellen erst recht nicht. Je näher ich komme, desto sicherer bin ich mir: Da brauch ich ohne Seil nicht einsteigen. Ich komm gar nicht bis zum Eis, zu kompakt und zu hoch sieht die Wand aus. Aber egal, zumindest habe ich eine nette Skiabfahrt gefunden. Ich fange an zu überlegen, ob ich mein Material am Einstieg deponieren kann und jemanden finde, mit dem ich über Nacht klettern kann, um allzu hohe Temperaturen zu vermeiden. Dann komme ich um die letzte Ecke und der Blick wird frei auf ein Rampensystem, das mit einer Unterbrechung sehr einfach bis zum Eis hochführt. Jackpot! Ich inspiziere das Gelände und komme zum Schluss, dass ich das ohne Große Probleme hoch wie runter klettern kann, falls mir das Eis doch schon zu sehr von der Wärme angegriffen erscheinen sollte. Ich fange an los zu stapfen. Es ist das erste Mal, dass ich mit Steigeisen an den Füßen und ganz bewusst ohne Seil wo einsteige. Es fühlt sich komisch an. Ungewohnt nackt aber auch leicht. Tief in mir glaube ich schon, dass ich unter anderem deshalb nie im Eis gestürzt bin, weil ich bisher mehr Glück als andere gehabt habe. Oder ist es doch Können? Eine Mischung? Fakt ist auf jeden Fall, dass ich im großen Unterschied zum Felsklettern, im Winter mit exakt derselben mentalen überheblichen Einstellung steiles Eis mit Seil klettere, wie im Sommer am Fels ohne Seil: Ich stürze nicht. Eigentlich liegt dann der Gedanke im Winter das Seil wegzulassen doch viel näher? Warum habe ich es dann so lange nicht gemacht? Weil es langweilig ist. Alleine Klettern ist einfach stinklangweilig und meistens sehr schnell wieder vorbei. So oder so. Außerdem hat mich lange die Tatsache davon abgehalten, dass ich mich im Eis sehr viel mehr auf meine technische Ausrüstung verlassen muss, als im Sommer nur von meinen Fingern. Aber jetzt bin ich ja trotzdem hier. Ohne Seil. Mal wieder weil ich meine, dass ich es kann.

Eigentlich sieht es einfach aus

Die Stapferei lässt nicht viel Ressourcen zum Grübeln übrig und dann steh ich eh schon vor der plattigen Stelle, die den Weg zum Eis freigibt. Dicke Graspolster hängen herunter und als ich vorsichtig in eines davon schlage, stelle ich fest, dass sie wundervoll durchgefroren sind! Das macht zum einen die Kletterei einfacher, lässt aber auch Rückschlüsse auf die Eisqualität weiter oben zu. Ich starte durch, erreiche die unteren Ausläufer des Eises, verlasse die dicke, aber schon erheblich vom Fels gelöste Glasur bald wieder, um über die sicheren Tiefen eines Kamins den Fuß der Säule zu erreichen. Ich schlage ein paar Mal mit der Rückseite des Eisgeräts gegen die Säule, um zu hören und zu fühlen wie sie sich verhält. Erstaunlich hart, aber wie erwartet offensichtlich durch die Exposition von der Nachmittagssonne geprägt. Kaum Wasser fließt und die Sonne hat dafür gesorgt, dass alle röhrigen Strukturen bereits verschwunden sind. Eigentlich sieht es einfach aus.

Mit Seil und 3 Eisschrauben wäre ich wohl erheblich schneller geklettert

Trotzdem packe ich die Leash aus. Ein Backup, das ich wie einen Chalkbag beim Free-Solo klettern im Sommer ansehe. Definitiv ein Hilfsmittel, durch die Fixierung am Reißverschluss der Hose aber eher mentaler Natur. Zu groß ist mir die Konsequenz, falls ich doch ein Gerät herunterwerfen sollte. Dann ist es vorbei mit dem Vertrauen auf die eigenen Fähigkeiten und ich kann warten, bis mir jemand ein zweites Eisgerät vorbeibringt. Nach 8m erreiche ich einen Querriss, der sich durch die ganze Säule zieht, aber wieder zusammengewachsen ist. Allzu überrascht bin ich davon nicht, trotzdem schaue ich, dass ich weiterkomme. Irgendwie mühsam. Oft schlage ich ein zweites oder gar drittes Mal und außer, dass ich danach die Geräte fast nicht mehr gelöst bekomme, bringt es mir nichts. So was mache ich normalerweise nie. Ich bin mir sicher, mit Seil und 3 Eisschrauben für die 50 Meter wäre ich wohl erheblich schneller geklettert. Spannenderweise aber bei ähnlichen Konsequenzen eines Bodensturzes über weite Teile. Vielleicht ist es sogar sicherer, was ich gerade mache? Blödsinnige Rechtfertigungsversuche. Ich merke, dass ich langsam klettere und zu viel Zeit zum Nachdenken habe. Ich schieße ein Selfie, ärgere mich über mich selbst, dass ich gerade wohl nichts Besseres zu tun habe und gebe wieder Gas. 1,5 Stunden und ein paar leichtere Eisstufen später stehe ich am Wanderweg kurz unter dem Gipfel im tobenden Sturm. Ich setze mich auf ein abgeblasenes Graspolster und mir wird mit einem Schlag bewusst, was ich da gerade gemacht habe.

Ein Privileg

Eine 400 Meter lange Eis- und Mixedlinie erstbegangen. Onsight. Free-Solo. Hm. Das ist krass, oder? Was mach ich denn jetzt damit? Normalweise lasse ich die Öffentlichkeit kaum an meinen Alleingängen teilhaben, zu groß ist meine Angst vor indirekter Beeinflussung. Aber Erstbegehungen veröffentliche ich eigentlich schon grundsätzlich und detailliert. Kann ich aber ja gar nicht. Ohne Seile weiß ich ja gar nicht wie viele Seillängen ich geklettert bin? Und Material, Standplätze? Ich schaue noch ein wenig dem Sturm beim Bilden von Triebschneepaketen zu und rutsche dann auf dem Hintern die Rinne zu meinen Skiern zurück. Jetzt kicken die warmen Temperaturen richtig und ich schaue, dass ich aus dem steilen Gelände komme, bevor alles runterfällt. Gegen Mittag bin ich wieder zu Hause in Innsbruck, mal wieder eine Erstbegehung, Mal wieder vor der Haustüre und mal wieder ohne Auto. Ein Privileg, das man in Innsbruck nicht oft genug wiederholen und loben kann! Entsprechend sollte jede valide Wiederholung dieser Linie ebenfalls „ecopoint“ – also ohne Verwendung von Auto oder Helikoptern – erfolgen. Ein oder zwei Seile könnte man aber schon mitnehmen. Für all die Menschen, denen ihr wichtig seid, damit eure dose of luck nicht an einem einzigen Tag aufgebraucht wird, sie muss ein Leben lang halten.

Text; Martin Feistl 


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