Climbers go Home und durchgestrichener Routenname Climbers go Home und durchgestrichener Routenname
25 November 2024

Climbers go home !

Östlich des Gardasees greifen Kletterer zu radikalen Maßnahmen, um sich gegen den Ansturm fremder Kletterer im Etschtal zu wehren ...

Der Norden des Gardasees gilt seit Jahrzehnten als Vorzeigeregion des Bergsports. Arco mit seinen gefühlt 25 Bergsport-Geschäften wird fast das gesamte Jahr über von Kletterern gestürmt und trägt auch jährlich den Rock Master Kletterwettkampf aus. Der Tourismus-Verband Garda Trentino hat den Klettergast erkannt und hat die Wartung von diversen Klettergärten rund um Arco übernommen. Das Wild-Campen ist zwar immer noch ein Thema, mit einem öffentlichen Stellplatz direkt am Ortsrand, vermehrten Kontrollen und diverser Fahrverbote will man das Problem aber eindämmen. Die Region um Arco gilt als Vorzeigebeispiel dafür, dass Klettern eine wichtige Tourismuseinnahmequelle ist, und dass Klettern auch in Einklang mit der Bevölkerung und der Natur möglich ist.

Unmissverständliche Botschaft und Bekennerschreiben

Etwas östlich vom Gardasee, im Etschtal bei Tessari haben Unbekannte die Bohrhaken bei der Route "Mamma li Turchi" entfernt. Am Fels steht eine unmissverständliche Botschaft „CLIMBERS GO HOME!“, der Routennamen daneben ist durchgestrichen. War das ein "Warnschuss" der Anrainer um Tessari, welche vom Kletterer genau genommen überhaupt nicht profitieren? Die Bohrhaken wurden nicht nur unten, sondern auch mitten in der Wand entfernt (der Verdacht drängt sich also auf, dass es Kletterer waren, welche die Sicherungshaken abmontierten). Der Ort des Bohrhaken-Attentates war Canale, dort ist das "Kletterer-Problem" nicht so gravierend wie in Tessari. "In Tessari hätte man das verstanden - wenn man einmal gesehen hat, wie über 100 Autos die Weinberge zuparken - aber in Canale?" Also die Felswand, an dem die Bohrhaken entfernt wurden, liegt direkt oberhalb des Nachbarortes, dort gibt es einen kleinen Parkplatz, die Problematik der zugeparkten landwirtschaftlichen Flächen ist dort nicht gegeben.

Das Bekennerschreiben mit dem Titel „Zum Schutz des Valdadige“ kritisiert recht mystisch die unnachhaltige Entwicklung des Tourismus in der kleinen Siedlung Tessari und fordert politische Maßnahmen zum Schutz der lokalen Gemeinschaften. Es wird darauf hingewiesen, dass die übermäßige Vermarktung (Veröffentlichung im Internet, die italienischen Lokals brachten Anfang 2024 einen Plaisir-Kletterführer über das Gebiet in den Handel) der Kletterrouten bei Tessari, zu einer touristischen Überfüllung und negativen Auswirkungen auf das Leben der Bewohner geführt hat. Die Autoren sind nicht an dem heutigen Tourismusmodell interessiert und fordern die Verwaltungen und Privatpersonen auf, ihr Handeln zu überdenken und die Angriffe auf diese Orte einzudämmen. Die Beteiligung der Bevölkerung wird als wesentlich angesehen und es wird betont, dass Entscheidungen zum Schutz der kleinen Dörfer nicht von Akteuren wie Bergführern, Reiseveranstaltern oder Politikern getroffen werden sollten. Das Schreiben endet mit dem Appell an die Leser, das Anliegen der Bewohner zu unterstützen.

Diese Bekenner-Aussagen lassen eher darauf schließen, dass es Kletterer sind, die gerne Ruhe haben, sich bei den Touren nicht anstellen wollen und jegliche Publikmachung ihres "Geheimspots" ablehnen. Um ihrer persönlichen Wünsche zu untermauern, wird berechtigterweise die Tessari-Bevölkerung mit ins Boot geholt. Primär ist das Parken dort ein großes Problem, aber da könnte mit einem Parkautomaten (in den Dolomiten wird für das Parken an die 12 Euro pro Tag verlangt) und einer 2 Meter Höhenbegrenzung (so wird man die großen Campmobile los) Abhilfe geschafft werden. Der Wunsch der Bekenner-Schreiber wäre aber damit nicht gelöst, da sie sich vermutlich weiter bei den Routen anstellen müssten.

In Tirol - Deutsche müssen draußen bleiben

Auch z.B. in Tirol gibt/gab es solche Climbers go home Tendenzen, vor allem wenn die Kletterer aus dem benachbarten Ausland kommen. So wurde am Fuße des Wilden Kaisers in einem Klettergebiet eine Tafel aufgehängt, abgebildet war eine Deutsche Fahne und daneben stand "wir müssen draußen bleiben".  Wurde eine Route im Internet veröffentlicht, prasselten auf den "Übeltäter" viele E-Mails mit wüsten Beschimpfungen ein und das von Leuten, die weder Grundeigentümer noch Leid geplagte Anrainer sind. Ähnlich wie in Tessari sind es meist Kletterer, die "ihr" Gebiet für sich alleine haben wollen, wenn diese Kletterer aber einmal woanders klettern, dann schauen sie selbst wissbegierig im Internet nach und saugen jede hilfreiche Information über neue Touren auf. Predigen die Bekenner also zu Hause Wasser und trinken in der Fremde dann selber Wein?

Ein Zufall, dass die Bohrhaken gerade in der Route "Mamma li Turchi" (= Oh Mutter, die Türken kommen!) entfernt wurden? Will man damit ausdrücken, dass explizit nur die Fremden und Ausländer mit "Climbers go home" gemeint sind? In Tessari sind es aber (noch) nicht die "Ausländer", die für die aktuellen Probleme verantwortlich sind. Die leichten bis mittelschweren, und gut abgesicherten Kletterrouten - und diese ziehen bekanntlich die Massen an - werden aktuell primär von Italienern gestürmt, die sich in der Facebook-Gruppe Arrampicata in Val d'Adige (aktuell 6653 Mitglieder) austauschen. Viele positive Facebook Postings, ein gratis online Kletterführer und on top ein ganz neuer Plaisir-Kletterführer - quasi Marketing par excellence, viel besser kann man Kletterer doch nicht für ein Gebiet begeistern!

Bei Bohrhaken-Entfernung nicht bis zum Ende gedacht

Sicher kann man hingehen und in Touren (bei denen man vielleicht nicht mal der Erstbegeher ist, geschweige denn der Grundbesitzer) die Bohrhaken entfernen. Was passiert aber, wenn durch diese Aktion jemand zu Schaden kommt - also ein nicht so erfahrener Kletterer in der "Mama li Turchi" Route in der Höhe des ersten oder zweiten Bohrhakens (weil er die im neuen Plaisir Kletterführer angegebenen Bohrhaken sucht und nicht findet) zu Fall kommt und im worst case beim Absturz stirbt? Vermutlich kommt am Ende sogar die Kriminalpolizei und versucht den Bohrhaken-Entferner zu ermitteln, als ersten Schritt hat der Übeltäter sein Bekennerschreiben ja schon in einen Spurensicherungsbeutel (Klarsichthülle) selbst eingetütet. 

Ist das mutwillige Entfernen von Bohrhaken wirklich der Weg, um für das Problem um Tessari im Etschtal eine Lösung zu finden? Was ist mit den Kletterern, die sich an die Parkempfehlungen (z.B. beim Friedhof an der Hauptstraße; von dort geht man ca. 15 Min. länger zum Einstieg) halten oder gar mit dem Fahrrad anreisen? Andere Kletterer haben die entfernten Bohrhaken anscheinend teilweise wieder angebracht, wie lange wird es dauern, bis die Bohrhaken neuerlich entfernt werden, ist man in diesem Gebiet wirklich schon in dem Stadium (wurde wirklich alles versucht), dass man Bohrhaken-Entferner (ähnlich der Klima-Kleber) braucht?

Veröffentlichungshistorie Tessari

Die Mehrseillängenrouten im Gebiet gibt es vermehrt seit den 70er Jahren, wobei der Boom mit leichten Mehrseillängenrouten - und diese ziehen bekanntlich die Massen an - erst ab dem Jahr 2000 eingesetzt hat. Es gab wenig Infos in einem "Monte Baldo Rock" Kletterführer. Die Erstbegeher gaben aber dann mit dem "V per Valdadige" ein Buch heraus, welches sogar gratis im Internet aufgelegt wurde "the new free online climbing guidebook". Das ganze gipfelte 2024 in einem neuen, von den Lokals publizierten "Plaisir" Kletterführer. Da darf man sich wirklich nicht wundern, dass immer mehr Besucher die Felsen rund um Tessari aufsuchen.

Belastung für die Bewohner - kommt ein kostenpflichtiger Parkplatz?

Aus Sicht der Einwohner – Tessari und Canale, das sind sehr kleine Ortschaften, mit wenigen Häusern unter den Felswänden an der Ostseite des Etschtals bei Affi – ist der Unmut verständlich, denn jedes Wochenende kommen hunderte Kletterer und parken den gesamten Ort, die engen Zufahrtsstraßen und auch die Weinberge zu. Aktuell haben die Bewohner überhaupt keinen Nutzen durch die Kletterer, es gibt kein Restaurant, Bar oder Fremdenzimmer; man kann die Ortsbevölkerung auch nicht zwingen in den Klettertourismus einzusteigen, wenn sie lieber wie gewohnt vom Weinbau leben (wie es in Facebook Arrampicata in Val d'Adige als Geldbeschaffungsvorschlag gepostet wurde).

Einzige, schnell zu realisierende Einnahmequelle für die Bewohner wäre ein kostenpflichtiger Parkplatz in beiden Ortschaften. Es wird sicher eine Zeit dauern, bis der Bürgermeister sich für die Aufstellung eines Parkautomaten erwärmen kann, das Parkplatz-Projekt wird am Anfang recht kostenintensiv und amortisiert sich erst nach Jahren. Ganz schnelle und recht radikale Lösung: einfach ein komplettes Zufahrtsverbot "Zona traffico limitato" für Fremde nach Tessari und diverse Halte- und Parkverbote in Canale und schon wäre man die große Masse der Kletterer los. Mal schauen, wie es in Tessari und Canale weitergeht, wir werden berichten.

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