Patagonien im Winter
Stephan Siegrist, Dani Arnold, Thomas Huber und Matias Villavicencio gelang in Patagonien die Besteigung des Cerro Torre (3128 M.ü.M.) im Winter. Die letzte bekannte Winterbesteigung des Torres liegt 14 Jahre zurück - auch damals schon mit von der Partie war Stephan Siegrist. Das erfolgreiche Quartett erreichte am 30. Juli bei besten Bedingungen den Gipfel des oft sturmumtosten Granitgiganten.
Der Cerro Torre ist ein Mythos von einem Berg. Wiederholt lieferte er Stoff für Filme. Und der demnächst erscheinende Kinofilm mit David Lama wird seine Popularität nochmals steigern. Im Sommer ist der Cerro Torre ein äusserst beliebtes Ziel für Spitzenbergsteiger aus aller Welt. Ganz anders sieht es aber im Winter aus: bisher sind ganze 3 Winterbesteigungen bekannt.
Initiant der Expedition war der deutsche Spitzenkletterer Thomas Huber.
Er hatte sich mit dem einheimischen Bergsteiger Matias Villavicencio (Tibu) zusammen getan und fragte Stephan Siegrist, ob er mitfahren wolle. Stephan sagte spontan zu und brachte seinerseits den Eigernordwand Rekordhalter Dani Arnold mit ins Team.
Stephan und Thomas sind alte Hasen wenn es um Patagonien geht. Aus Erfahrung wissen sie, dass die Chance für ein Schönwetterfenster Ende Juli/Anfang August am grössten ist.
Am 27. Juli stossen Stephan und Dani in El Chalten zu den bereits in Patagonien weilenden Thomas und Tibu. Stephan Siegrist erzählt: „Nach einer kurzen Nacht wird am 28. Juli in der Früh das ganze Material zusammengepackt und wir steigen mit der Unterstützung unserer Freunde, den Gebrüdern Luis und Hector Soto, in das 7 Stunden entfernte Niponino Camp auf. Der Winter ist zurzeit sehr mild hier in Patagonien. Der Lago Torre ist nicht zugefroren.
Am 29. Juli steigen wir mit schwer beladenen Rucksäcken über den Col Standhardt, seilen zwei Seillängen auf die Westseite der Torre Gruppe ab und steigen weiter ab in den Kessel des „Circo de los altares“. Anschliessen geht es wieder rauf Richtung „Filo Rojo“.
Es wird warm. Der Schnee weich und die Spurarbeit mühsam. Nach zwei kombinierten Längen erreichen wir einen Pfeilerkopf. Nach einer angenehmen Nacht auf dem „Adlerhorst“ klingelt der Wecker um fünf Uhr in der Früh. Bis alles wieder gepackt ist, vergeht etwas Zeit. Es ist noch stockdunkel, doch wir müssen los. Erst unter dem „Helm“ können wir die Stirnlampen ausschalten. Wir befinden uns in einer Märchenlandschaft von unwirklichen Eisgebilden. Die Ferrari Route ist einfach ein Traum! Für mich war es immer wieder ein Wunsch, diese Route in dem unwirklichen Gelände nach 1999 noch einmal klettern zu dürfen. Nun, 14 Jahre nach unserer ersten Winterbegehung der Ferrari Route und der zweiten Winterbesteigung des Cerro Torres überhaupt, durfte ich wieder hier sein. Meines Wissens hat der Cerro Torre seit meinem letzten Besuch keine weitere Winterbesteigung gesehen.
Thomas übernimmt die Führung durch die vier kombinierten Seillängen. Wir kommen gut vorwärts. Danach steigt Dani eine weitere Seillänge in der Headwall vor, bevor ich drei Seillängen übernehme.
Obwohl sich in den 14 Jahren die Formationen natürlich stark verändert haben, erinnere ich mich noch an die eine oder andere Stelle. Durch einen kleinen Kanal erreiche ich den Grat, der die Westwand von der Nordwand trennt. Ich schlängle mich durch unwirkliche Eisgebilde. Es „pfeift“ in die Tiefe zum „Col de Conquest“ - dem Einschnitt zwischen Cerro Torre und Torre Egger. Unter dem Gipfelpilz mache ich wieder Stand. Mein Blick wandert rüber zum Fitz Roy und auf das Gebirge auf der chilenischen Seite des „Hielo Continental“ - einfach fantastisch!
Das Wetter unglaublich gut. Keine Wolke ist zu sehen! Unser Team funktioniert perfekt. Während Thomas und Tibu nachstiegen, nimmt Dani die letzte Seillänge in Angriff – den mächtigen Gipfelpilz aus Eis.
1999 haben wir uns in 4 Stunden nordseitig durch das gefürchtete Rime-Ice (Anraumeis) hochgekämpft. Dani findet weiter in der Westwand eine Rinne, in der kaum Anraumeis anzutreffen ist. Gleichwohl sind die ersten fünf Meter - selbst für den Eismeister - kein „Kinderfasching“. Sobald ich nachgestiegen bin, bereite ich schon mal die erste Abseilstelle am Nordende des Pilzes vor. Es schaut anders aus hier oben als vor 14 Jahren und wir haben dank des zuverlässigen Wetterberichtes die Sicherheit, dass sich das Wetter in den nächsten Stunden auch nicht ändern wird. Beim letzten Mal haben wir aufgrund eines heraufziehenden Sturms auf die Besteigung des rund 10 Meter aufragenden Reifpilzes verzichtet. Für uns machte das damals keinen Unterschied.
Dieses Mal ist es anders: Kein Wind auf dem Gipfel! Ungesichert im einfachen Gelände steigen wir noch die letzten 10 Meter vom Gipfelplateau auf den höchsten Punkt. Ein weiteres unvergessliches Erlebnis in Patagonien! Wir sind so glücklich!
Es ist schon 17.30 Uhr und wir machen uns an den Abstieg. Ich rüste mich mit dem nötigen Material aus und richte die Abseilstellen ein. Um 23 Uhr erreichen wir wieder unseren „Adlerhorst“ und biwakieren für ein paar Stunden. Da der Wetterbericht für den nächsten Tag viel Wind angesagt hat, entscheiden wir uns für den Rückweg für die Route über den Passo Marconi. Ein langer und zuletzt mühsamer Weg durch tiefen Neuschnee. Nach 9 Stunden Marsch erreichen wir das westliche Ende des Lago Electrico, wo wir ein letztes Biwak machen.
Am nächsten Tag warten noch 4 Stunden Marsch auf uns, danach ist es geschafft. Wir staunen nicht schlecht, als wir am Morgen auf halbem Weg auf Hector und Luis treffen. Am Tag zuvor sind die beiden vom Niponino nach El Chalten abgestiegen und nun sind sie uns entgegengeeilt ins Piedra del Fraile. Sie haben Brot, Salami und Bier mitgebracht. Genau was wir uns jetzt wünschen! Das sind wirklich echte Freunde! Am Nachmittag des 1. August sind wir wieder zurück in El Chalten. Und am Abend gibt es schon das traditionelle Assado und ich blicke bereits zurück auf eine weitere anstrengende aber unvergessliche Woche im patagonischen Gebirge.“
Facts:
Zweite Winterbesteigung der Ferrari-Route
Nach unserem Wissenstand: Dritte Winterbesteigung des Cerro Torre überhaupt
Zeitlicher Ablauf
27.7.2013: Ankunft El Chalten
28.7.: Marsch ins Niponino
29.7.: Aufstieg zum Col Stanhardt und Abseilen Richtung „Circo de los altares“, anschliessend Aufstieg Richtung „Filo Rojo“. Biwak im „Adlerhorst“.
30.7.: Aufstieg zum Gipfel des Cerro Torre (3128 M.ü.M.) über die Ferrari-Route und Abstieg bis zum „Adlerhorst“.
31.7.: Abstieg via Circo de los altares aufs Inlandeis und dann über den Marconi-Gletscher bis zum Lago Electrico: Biwak
1.8.: Rückmarsch über Piedra del Fraile nach Chalten
Team:
Dani Arnold Schweiz - www.daniarnold.ch
Thomas Huber Deutschland - www.huberbuam.de
Stephan Siegrist Schweiz - www.stephan-siegrist.ch
Matias Villavicencio „Tibu“ Argentinien
Helfer für Materialtransport: Luis und Hector Soto
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