17 Juni 2014

"Alpiner Karl May" Karl Lukan verstorben

Die Wiener Bergsteigerlegende Karl Lukan starb 90-jährig in Wien

Im 91. Lebensjahr starb am 13. Juni um 4 Uhr früh in Wien der Bergsteiger und Autor Karl Lukan. Er war Kletterer, Amateurarchäologe und zusammen mit seiner Frau Fritzi Lukan Autor von über 50 Büchern über kulturhistorische und alpinistische Themen. Bis ins hohe Alter aktiv, war er eine Identifikationsfigur der Wiener Bergsteigerszene und ein beliebter und humorvoller Vortragender in alpinen Vereinen und Volkshochschulen in Österreich und Deutschland. Für seine Verdienste um die Republik Österreich wurde ihm das Goldene Ehrenzeichen verliehen. Sein letztes Buch veröffentlichte er anlässlich seines 90. Geburtstages im Vorjahr im Tyrolia-Verlag: In "Ein Stück vom Himmel" erzählte er noch einmal von den vergnüglichsten und spannendsten Erlebnissen und Begegnungen seines langen Bergsteigerlebens. 

Laudatio von Adi Mokrejs anlässlich der Buchpräsentation „Ein Stück vom Himmel“ zum 90. Geburtstag von Karl Lukan am 12. September 2013.

Karl Lukan wurde 1923 in Wien geboren, er begann mit 14 eine Verlagslehre im Verlag Eduard Hölzl, und fing als Siebzehnjähriger mit dem Klettern an.

Seine vielversprechende alpine Karriere wurde bald unterbrochen durch große Reisen. Die unternahm er nicht ganz freiwillig, sondern mit einer „Agentur“, die hauptsächlich junge Männer ziemlich unkomfortabel transportierte, und bei der die Rückfahrt nicht garantiert war. Reiseziele wie Kaukasusfront oder Monte Cassino überlebte er mit Glück, und wurde nach der Heimkehr aus der Kriegsgefangenschaft Redakteur der Zeitschrift „Wiener Bühne“. Danach war er Buchhersteller – erst beim Verlag Schroll, später bis zu seiner Pensionierung beim Österreichischen Bundesverlag. Beruf und persönliche schriftstellerische Neigung waren also bei ihm lebenslang eng miteinander verwoben.

Als Lukan seine ersten alpinen Erlebnisbücher herausbrachte, wurden diese begeistert verschlungen. Es war, als hätten die Leser förmlich darauf gewartet. Bis dahin hatte man ja oft den Eindruck, das Bergsteigen sei eine Art Kriegsersatz, die militärische Rhetorik blühte: das Auge blitzte „kämpferisch“, man las von einer „Belagerung“ oder einem „Sturmangriff“ auf den Gipfel, von „Kampf und Sieg“ und von „Gefallenen der Berge“ … Aber der Bedarf an Heldentum war gerade überreichlich gedeckt … Eine zweite Schiene der damaligen Alpinliteratur war ein gekünstelter, g‘scherter Humor, der uns heute genauso unerträglich und krachledern vorkommt. 1952 also erschien sein erster Titel: „Kleiner Mensch auf großen Bergen“, dann folgten: „Tausend Gipfel und noch mehr“, „Wilde Gesellen, vom Sturmwind umweht“, „Bergzigeuner“ – das waren Bücher, die als wohltuender Kontrast das Lebensgefühl dieser Nachkriegsjahre abbildeten, und die auch nach außen das Bild des Wiener Bergsteigertums der Fünfziger- bis Siebzigerjahre prägten. Darüber hinaus wurde er in gewisser Weise stilbildend für jüngere Nachfolger, die von seiner Art des Schreibens angetan waren.

„Alpinschreiber in Wien – das ist ein hartes Brot!“, hat damals unser gemeinsamer Freund Peter Baumgartner geklagt: „Was man auf diesem Gebiet auch beginnt – Lukan ist schon längst vorher dagewesen!“ Er hat nämlich auch immer eine „Nasen“ für neue Themen bewiesen. Das zeigt sich zum Beispiel besonders deutlich, wenn man in der klassischen Alpinliteratur nach griffigen Zitaten und originellen „Wuchteln“ sucht: in seinem kleinen, aber feinen Anekdotenband „Hauptsach‘, man weiß wo der Berg steht“ hat er die besten davon schon längst herausdestilliert.

Noch zum Namen „Charly“: der bezog sich auf seine als geckenhaft empfundene Adjustierung bei seinem Entree in die damalige Bergsteigerszene – und der ist haften geblieben, obwohl er in Wirklichkeit von einer lockeren Natürlichkeit ist. So ist es schließlich oft: die wirklich Guten, auf welchem Gebiet immer, haben es nur selten nötig, sich, wie man so sagt „einen Kren zu geben“.

Der „Charly“ also, zählt zu einer allmählich verschwindenden Spezies von Alpinisten, die einst zwar mit größter Selbstverständlichkeit als „ernst“ apostrophierte, das heißt schwierige und nicht ungefährliche Bergtouren unternahmen, die aber ihrem Tun das Motto von Egon Friedell unterlegten: „Lebe unernst!“, was in seinen Geschichten und auch seinen Aktionen in Form des practical joke mitschwingt. Im Lauf der Jahre hat er sich zum profunden Alpenkenner entwickelt, der vor allem in seiner Wiener Bergheimat inklusive Hochschwab, Gesäuse und Dachstein so ziemlich alle populären und dazu viele selten wiederholte Kletterrouten kennenlernte. Von etlichen hochkarätigen unter ihnen sind ihm ganz frühe Wiederholungen gelungen, etwa die zweite Begehung der Stangenwand-Südostwand oder des Koppenkarstein-Südostpfeilers. Dazu kommen große klassische Dolomitenwände wie Civetta-NW-Wand, Pelmo- und Gr. Zinne-Nordwand oder Agner-Kante, natürlich die berühmten Westalpen-Denkmäler wie Matterhorn, Weißhorn, Meije und Montblanc und auch zahlreiche für ostalpine Bergfreunde ausgefallene Gebirgsgruppen.

Nun kann er zurückblicken auf ein erfülltes Bergsteigerdasein – als Amateur = Liebhaber, im Gegensatz zu den zahlreichen „Profis“, die oft wie Getriebene wirken mit ihrem Gefuchtel um mediale Aufmerksamkeit. Wenn schon wieder einmal der Alpinismus revolutioniert wurde mit der Erkletterung eines Zehnmeterfelsens, oder ein Achttausender im Retourgang erstiegen, und man des ganzen Hochglanz- oder demnächst 3-D-Zaubers langsam überdrüssig ist – dann lasse man sich von ihm in die Zeit vor dem durchorganisierten Alpinkommerz entführen, als das Bergsteigen noch nicht von den Versicherungsanstalten auf soziale Verträglichkeit abgecheckt wurde. Und noch in gewisser Weise exklusiv war – das heißt: nicht für alle zugänglich.

Stichwort „für alle zugänglich“: Das ist – im Gegensatz zu seinen längst vergriffenen Frühwerken – sein neuestes Bergbuch mit dem poetischen Titel: „Ein Stück vom Himmel“, und dem passenden Untertitel „Als das Bergsteigen noch wild und gefährlich war“. Es war eine Zeit, die sich jüngere Bergfreunde kaum vorstellen können, angefangen von den in jeder Hinsicht bescheidenen materiellen Bedingungen bis zur gesellschaftlichen Position des Bergsteigers in seinem alltäglichen Umfeld. Die Bestrebungen zur Umgestaltung der Alpen in einen Freizeitpark lagen noch in den allerersten Anfängen, die Ausrüstung war dürftig und nach heutigen Begriffen beinahe selbstmörderisch, allfällige Rettungsmöglichkeiten waren äußerst begrenzt – dafür waren die Begriffe Eigenverantwortung und Erfahrung unerwähnte Selbstverständlichkeiten. Selbst wenn nun der Eindruck erweckt wird, alpine Erfahrung könne man sich einfach als App aufs Handy herunterladen: es ist ein in zahllosen Stunden – vielfach ungemütlichen und gefahrvollen Stunden – erworbener Instinkt, der aber einen weiteren wichtigen Faktor beim Bergsteigen entscheidend zu stützen vermag: die notwendige Portion Glück. Eines fällt bei der Lektüre dieses Buches auf: Selbst wenn er manche absonderlichen Entwicklungen mit milder Ironie betrachtet, verfällt er niemals in den Jammerton vieler Altgewordener, die ihre eigenen Leistungen als den Schlussstein im Gebäude des Alpinismus sehen möchten.

Für jene Lebensphase nämlich, in der die Berge immer höher und steiler werden, hat er sich beizeiten ein zweites Standbein trainiert. Nach der Dimension Abgrund hat er in der Dimension Zeit ein erfüllendes Betätigungsfeld gefunden. Geschichte im Allgemeinen, Alpine Frühgeschichte im Speziellen, oder Heimatkunde – das sind Begriffe, bei denen man, unterrichtsgeschädigt, förmlich den Staub aufsteigen sieht. Dabei sind sie in richtiger Aufbereitung ein höchst spannender und interessanter Stoff. Manchmal hat man fast den Eindruck, es sei ungehörig, diese Themen in einer anregend lesbaren Weise zu bearbeiten, und nimmt eine möglichst große Anzahl von Fußnoten und Quellenangaben als obersten Qualitätsmaßstab. Mit seinem anekdotischen Stil hat er selbst diese auf den ersten Blick spröde Materie einem großen Leserkreis zugänglich gemacht. Das geheimnisvolle Volk der Etrusker etwa hat er als einer der Ersten im deutschsprachigen Raum eingehend erforscht (er und seine Fritzi haben sogar in dieser Region geheiratet), später hat er sich als Amateurarchäologe zunehmend der unsichtbaren Ebene unter unserer Kulturlandschaft zugewandt: alten, vielfach vorchristliche Kultstätten, vergessenen oder missverstandenen Volksbräuchen, oder auch mittlerweile schon als historisch zu wertenden Zeugnissen aus der Frühzeit der Industrialisierung. Unser Bergsteiger-Freundeskreis hat jedes Jahr ein verlängertes Rad-Wochenende unternommen, und da war immer ein heimatkundliches Lukan-Werk dabei – das Waldviertel- oder Weinviertel-Buch etwa, das uns auf Besonderheiten oder Kuriositäten hingewiesen hat.

Dass ihm für seine Verdienste das Goldene Ehrenzeichen der Republik verliehen wurde, hat er vor seinen Freunden fast wie eine Peinlichkeit geheim gehalten (vor allem hätte er ja in erster Linie den „Orden wider den tierischen Ernst“ verdient). Ein Satz darf in diesem Zusammenhang nicht fehlen, selbst wenn er schon ziemlich abgebraucht wirkt: jener von der starken Frau, die hinter jedem erfolgreichen Mann steht. Auch wenn dies der Fritzi mit ihren 1 Meter 48 nicht gleich anzusehen ist. Sie hat die drei Söhne großgezogen, sie hat seine zahllosen handschriftlichen Manuskripte abgetippt, sie ist mittlerweile ebenfalls archäologische und heimatkundliche Expertin – und sie war vor allem – selber hochgradig bergnarrisch – gleichwertige Gefährtin auf unzähligen Bergtouren.

Die Eroberung des Unnützen – dieses Wort des berühmten französischen Alpinisten Lionel Terray ist eines der schönsten und treffendsten Bilder für unser Tun als Bergsteiger. Obwohl wir nicht der Ansicht sind, damit den Schlüssel zur einzig richtigen Lebenseinstellung zu besitzen, sind wir uns über dessen bereichernde Aspekte einig, und wenn wir versuchen, diesen Reichtum mit anderen zu teilen, ist dieses Teilen schließlich das Wertvollste. Karl Lukan hat mit seinen Büchern und Vorträgen zahllosen Menschen aller Gesellschaftsschichten das Bergsteigen und dessen ideelle Möglichkeiten nahe gebracht. Er denkt und schreibt in Form von Geschichten, und das Wunderbare an ihnen ist, dass sie sämtlich wahr sind, auch die unglaublichsten und verrücktesten, so wie unser Dasein überhaupt.

Zum Abschluss daher eine Geschichte, die mir in diesem Zusammenhang besonders gefällt: Einmal hielt er im „Grauen Haus“ einen Diavortrag über das Klettern. Nachher fragte ihn einer der Häftlinge: „Sagen‘s – was verdienen‘s denn mit derer Kletterei – zahlt sich das aus?“ Von dieser Frage war er kurz überrumpelt, konterte aber schnell mit einer Gegenfrage: „Wenn Sie sich’s aussuchen könnten, was möchten’s lieber: viel Geld haben – oder a Jass sein?“ Nach kurzem Nachdenken kam die Antwort: „Eigentlich – lieber a Jass sein!“ Worauf ihm der irgendwie erleichterte Charly klar machte, dass das Bergsteigen in unserer nivellierten und durchrationalisierten Gesellschaft eine der letzten Möglichkeiten bietet, sich als „Jass“ zu fühlen, als jemand mit einem nicht ohne Grund gehobenen Selbstwertgefühl, der auch von anderen respektiert wird …

Zuletzt noch ein persönliches Wort: In den rund fünfzig Jahren, die wir nun schon freundschaftlich verbunden sind, habe ich das Glück gehabt, einige schöne Bergtouren mit euch zu erleben, und zahlreiche Stunden mit angeregten und bereichernden Gesprächen zu verbringen. Und wenn es mir einmal überhaupt nicht gut geht – das kann ich aus jüngster Erfahrung sagen – da greife ich ins Bücherregal, und steige dann mit Dir und Fritzi, mit Schwanda, Zwickerl und Scarpietti auf einen Gipfel – und die Welt wird wieder irgendwie lichter.

Dafür sage ich – im Verband mit einer großen Leserschaft:

Danke, Charly, und alles Gute!
 



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