Wien - Es ist der Abend des 4. Juli 1953, als eine einsame Gestalt langsam über den Silbersattel herunterkommt. Die wartenden Kameraden Walter Frauenberger und Hans Ertl trauen ihren Augen kaum. Schwer gezeichnet vom 41-stündigen Gipfelgang schleppt sich Hermann Buhl mit letzter Kraft ins rettende Lager fünf. Am 3. Juli um etwa 19 Uhr hat er, nur noch durch seine außergewöhnliche Willenskraft vorangetrieben, die 1200 Höhenmeter vom letzten Camp bis zur Spitze überwunden und als erster Mensch den 8125 Meter hohen Nanga Parbat bestiegen.
Auf dem Rückmarsch überraschte ihn die Dunkelheit in einer steilen Wand und er musste, auf einem tellergroßen Platz stehend, die Nacht abwarten. Ohne zusätzliche Überbekleidung, ohne Flüssigkeit, ohne Essen. Den Rucksack hat er beim Aufstieg 400 Meter tiefer auf dem Plateau zurückgelassen. Nur auf seine Skistöcke gestützt, versuchte er, bis zum Morgen zu überleben. Ja nicht einzuschlafen, nicht hinunterzukippen.
Auf die Frage eines Radioreporters wird Buhl später diese Tortur herunterspielen: "Es war gar nicht so schlimm, ich bin dem Biwak sehr gleichgültig gegenübergestanden, wie sonst kaum bei einer Bergfahrt." Am nächsten Morgen der beschwerliche Rückweg. Buhl begann zu halluzinieren, glaubte Begleiter um sich. Er war vollkommen erschöpft, half sich wie schon beim Aufstieg mit dem Aufputschmittel Pervitin. Glücklich zurückgekehrt, wurde er von den Kollegen versorgt, am rechten Fuß zeigten sich schwere Erfrierungen, später mussten die große und Teile der zweiten Zehe amputiert werden.
Europaweit feiert man Hermann Buhl danach als großen "Bergsteigerstar". Der Mann, der ganz alleine den Nanga Parbat bezwang, wird in Österreich zum Sportler des Jahres gewählt und verdient endlich ausreichend Geld mit Vortragsreisen. Dabei hatte man ihm als er ein Bub war bei den ersten Kletterversuchen gesagt, er sei zu schmächtig, um einen ordentlichen Bergsteiger abzugeben.
Hartes Training
Hermann Buhl wird am 21. September 1924 in Innsbruck geboren. Die Mutter Marianne, sie stammt aus Südtirol, erkrankt schwer als er vier Jahre alt ist. Der Vater Wilhelm steht auf einmal alleine mit vier Kindern da. Die beiden Schwestern kommen zu Verwandten, Hermann und sein Halbbruder Siegfried müssen zunächst ins Waisenhaus. Später nehmen auch ihn Verwandte auf. Nach dem Hauptschulabschluss lernt er Speditionskaufmann, beginnt er, regelmäßig zu klettern. Zuerst Seilzweiter, gelingen ihm in den Wänden des Karwendels und des Wilden Kaisers durch beharrliches, hartes Training bald als Vorsteiger Touren bis zum damals magischen VI. Schwierigkeitsgrad.
1943 wird er in der Wehrmacht als Sanitätssoldat ausgebildet, wenig später kommt er an die Front. Nach dem Krieg und amerikanischer Gefangenschaft kehrt er nach Innsbruck zurück. Er schlägt sich mühsam mit Gelegenheitsjobs durch und beginnt, mit dem Ersparten seine Bergführerausbildung zu finanzieren. In diesen Jahren trainiert er mit harten Winter-Erstbegehungen in der Heimat für spätere große Touren in den Westalpen. Legendär sind seine Anreisen mit dem Fahrrad zu den großen Wänden in Südtirol oder in der Schweiz. Er würde sicher lieber bequemer fahren, kann es sich aber meistens nicht leisten.
1950 lernt Hermann Buhl Eugenie Högerle aus Ramsau am Watzmann kennen. Im März 1951 wird geheiratet, im gleichen Jahr kommt Kriemhild, die erste von drei Töchtern, auf die Welt. Buhl arbeitet als Berufsbergführer und als Bergsportartikelverkäufer um die Familie zu ernähren. In dieser Zeit durchsteigt er die Piz-Badile Nordostwand als Erster solo, führt er in der Eiger-Nordwand eine neunköpfige Gruppe nach einem Wettersturz mit enormem Einsatz zurück in die Sicherheit.
1953 dann endlich der immer erträumte Himalaya. Hermann Buhl wird zur Willi-Merkl-Gedächtnisexpedition eingeladen, die den Nanga Parbat bezwingen will. Dafür trainiert er wie besessen. So steigt er an einem Februarabend in die verschneite und vereiste 1800 Meter hohe Watzmann-Ostwand. Als Erster klettert er im Winter und bei Nacht alleine den schwierigen Salzburger-Weg.
Der Abend des 9. Juni 1957. Eine kleine österreichische Expedition, bestehend aus vier Mann, hat den Gipfel des Broad Peak (8047 m) erstbe-stiegen. Im Alpinstil, ohne Hochträger und ohne Sauerstoff. Marcus Schmuck und Fritz Wintersteller als erste Seilschaft, Hermann Buhl und Kurt Diemberger als zweite. Buhl ist an diesem Tag müde und die Erfrierungen von früher machen ihm zu schaffen. Diemberger geht die letzten Meter zum Gipfel alleine, befindet sich schon wieder auf dem Rückweg, als ihm Buhl entgegenkommt. Mit seiner legendären Willenskraft schafft er, von Diemberger noch einmal begleitet, seinen zweiten Achttausender.
Plötzlich ein Schlag
27. Juni 1957. Buhl und Diemberger wollen die 7654 Meter hohe Chogolisa zu zweit, schnell, nur mit einem Zelt wie einen Alpengipfel besteigen. Hermann Buhl spurt, doch auf ungefähr 7300 Metern müssen sie wegen plötzlichen Schlechtwetters umdrehen. Hinunter gehen sie, ohne angeseilt zu sein. Zuerst Diemberger, dann Buhl, beide achten darauf, nicht zu nahe an den Wächtenrand zu kommen. Auf einmal geht ein Schlag durch die ganze Schneefläche. Kurt Diemberger springt zur Seite, dreht sich um, aber da ist niemand mehr hinter ihm. Er geht zurück, sieht den Wächtenabbruch und die Spur Hermann Buhls bis zur Kante.
Der berühmte Bergsteiger muss bis zum Wandfuß abgestürzt, von den Schnee- und Eismassen begraben worden sein. Er wird nie gefunden. (Martin Grabner - DER STANDARD PRINTAUSGABE 25.6. 2007)
*Martin Grabner, Bergsteiger und freier Autor, lebt in Wien.
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