Vor 10 Jahren habe ich das erste Mal zwei Kletterer im oberen Drittel dieser mächtigen Eiswand gesehen. Sie waren winzig und bewegten sich sehr langsam die steile Flanke hinauf. Wir waren von Trafoi die Schitourenroute heraufgekommen und es war ein perfekter Wintertag. Es war beeindruckend. Seit damals wollte ich diese Wand auch einmal durchsteigen, war mir aber nicht klar, ob ich dem gewachsen sein würde.
In den letzten 10 Jahren habe ich meine Fähigkeiten weiterentwickelt, wobei man sich als Grazer schwer tut fit, fürs Eisklettern zu werden, da nicht jeder Winter Eis in den Süden bringt und manchmal ganze Saisonen ausfallen. Heuer war wieder ein besseres Jahr und trotzdem schaffte ich es gerade einmal zum lokalen Eiskletterspot. Das war aber genug, um mir die Idee der Ortler Nordwand wieder einzuimpfen. Ich hatte Angst, dass es eines dieser Ziele ist, die man nie erreicht und dass die Erderwärmung die Tour auffrisst, bevor ich mich dazu aufraffen würde. Also habe ich mit David aus München einfach ein Wochenende ausgemacht, an dem wir es angehen sollten.
Das 42 Stunden Hoch
Es war nicht das erste Mal, dass der Wetterbericht so ausfiel: Schlechtwetter, aber nicht genug um abzusagen, ein Wetterfenster und dann die nächste Front. Wir hatten 42 Stunden gutes Wetter in Sulden prognostiziert. Das sollte reichen, allerdings kamen wir Anfang Mai bei besten Pulverschneeverhältnissen und Lawinenwarnstufe 3 an. Bei der Anreise glaubte ich nicht daran, dass die Tour möglich wäre, bei der Eingehtour mit den Schiern im Powder zur Suldenspitze hinauf auch nicht. Wir fragten einen einheimischen Bergführer, der meinte: „Blank is sie, aber die Lahn hat schon durchgeputzt.“ Das hob die Motivation. Das wir Eisklettern müssen war uns klar. Hauptsache keine Schneebrettgefahr.
Also starteten wir um ein Uhr Früh von Sulden aus hinauf. Die ersten 1.000 Höhenmeter vergingen in meditativer Dunkelheit. Erst durch den Wald und dann auf fester Schneedecke immer steiler hinauf. Als uns das erste Morgenlicht Überblick gewährte waren wir schon in einem Verhauer. Eine Kunst, da der gesamte untere Teil Trichterartig im Flaschenhals mündet. Also wieder etwas absteigen und links hinauf zur eigentlichen Einstiegsstelle. Wir waren voll im Zeitplan, bis an jene Stelle, wo der Neuschnee sich doch sammelte und wir bis zum Knie im Schnee standen. Das Spuren war mühsam, aber mit dem ersten Blankeis vor Augen war das Ziel klar. Langsam und mit der Spurarbeit abwechselnd arbeiteten wir uns höher. Der Moment, in dem ich die erste Eisschraube in den harten Eispanzer drehen konnte, war erlösend. Ein solider Stand um die Steigeisen anzuziehen und sich für echtes Eis zu adjustieren.
Point of no return
Der Flaschenhals ist die erste Schlüsselstelle, der Teil der Wand, der als erstes ausappern wird und auch ein bisschen der „point of no return“ in der ganzen Unternehmung. Ich genoss die steilen Meter, querte etwas nach rechts, wieder in Trittfirn und bekam zusehends Stress. Mir war klar, dass David längst den Stand aufgelassen hatte und mir nach ist. Ich hatte noch kein T-Bloc in eine Eisschraube gehängt und hier war kein Stand möglich. Irgendwann kam doch wieder Eis unter der Schneedecke hervor, ich schraubte soweit die Steine im Eis es zuließen und die Lage war wieder entspannter. Nun folgten noch ein paar Längen echtes Eis. In angenehmer Steilheit. Mal war es ein paar Meter aufrecht zum Durchbeißen, dann wieder etwas flacher zum Entspannen und Sicherungen schrauben.
So suchten wir uns Seillänge für Seillänge aufwärts. Generell ist sicher ein guter Tipp eher rechts in der Wand zu bleiben, da hier am wenigsten Sonne hineinkommt und am meisten vom Trittfirn übrigbleiben wird. Lediglich der Spindrift von oben war irritierend: Der Südwind blies uns den lockeren Neuschnee vom Gipfelplateau entgegen und dieser ergoss sich wie ein kleiner Wasserfall über uns. Romantisch, wenn man sich sicher sein kann, dass es nicht irgendeinmal zu viel wird. Meine größte Angst in dieser Tour war eigentlich nicht der Neuschnee, sondern abschmelzende Seracteile. Dafür war das Wetterfenster sicher ideal. Es war vor unserer Ankunft kalt, während unseres Aufenthalts nicht übermäßig warm. Wahrscheinlich birgt ein anhaltendes Hoch mit perfektem Wetter sogar größere Gefahr.
Just als es doch langsam mühsam wurde und ich auch die Höhe in meinen Bewegungen mehr wahrnahm, waren wir schon am oberen Rand und stiegen auf das Gipfelplateau aus.
Wir hatten keine Schier mit, obwohl die Bedingungen perfekt gewesen wären, aber Paragleiter für die der Wind zu stark aus der falschen Richtung blies. Also standen wir um 18:00 Uhr in Trafoi auf der falschen Seite des Berges und hatten Mühe ein Taxi zu finden, dass uns in der Zwischensaison wieder nach Sulden bringen würde. Schlussendlich war aber doch einer bereit uns zu chauffieren. Wenn man mit zwei Autos anreist, sollte man also eines evtl. zuerst auf die andere Seite stellen. Generell könnte man sich früh genug überlegen, wie man am besten wieder vom Berg kommt.
Insgesamt eine Wahnsinnstour, von der ich froh bin, sie gemacht zu haben.
Text: Matthias Aberer
Bilder: Matthias Aberer und David Khil
Toureninfo: Ortler Nordwand
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