Uns war das Steilwandfahren in den Dolomiten einfach nicht genug: Wir Wolfgang Hell, Aaron Durogati und Daniel Ladurner, drei junge Südtiroler Alpinisten und Ski-Abenteurer haben eine neue Herausforderung gesucht. Daniel ist 23 Jahre alt, Bergsteiger, Steilwandfahrer und Biobauer in Tscherms und Wolfgang Hell, der 1980 geborene ehemalige Skirennläufer im Nationalteam und Bergführeranwärter aus Algund. Aaron Durogati, der bekannte Paragliding-Wordcupsieger hat sich uns kurzerhand angeschlossen, denn Wildnis, Abenteuer und grenzenlose Freiheit sind dem 30-Jährigen aus Meran keine Unbekannten. Uns 3 verbindet dieselbe Leidenschaft, das Steilwandfahren. Aus der Idee von Wolfi endstand der Plan für zwei Wochen an die Grenze Europas nach Georgien zu fahren. Wir setzten uns zum Ziel, die steilen Rinnen und Gipfel der Chauki-Dolomiten zu besteigen und zu befahren. In uns ist nach jahrelangem Steilwandfahren die Idee gewachsen, in einer völlig unberührten und wilden Kulisse etwas vollkommen Neues zu wagen. Neuland erforschen und die Einfachheit des Lebens fernab der Zivilisation erleben ist kein Kinderspiel: Georgien ist nicht Europa und die Infrastrukturen sind entsprechend eingeschränkt.
Dolomiten von Chauki
Zwischen dem Großen und dem Kleinen Kaukasus und dem Schwarzen Meer liegt Georgien. In der nordöstlichen georgischen Region Mzcheta-Mtianeti liegt Khevi. Berühmt ist diese Region vor allem, weil sie eine der ältesten Weinbaugebiete ist. Bereits in der Antike wurde der Rebensaft hier angebaut und geschätzt. Weniger bekannt und deshalb umso interessanter sind die georgischen Dolomiten von Chauki. Der höchste Berg der Region Khevi ist Kazbek (der Eisbedeckte) mit einer Höhe von 5033m. Chauki besticht durch seine wunderbare und wilde Berglandschaft mit spektakulären und jungfräulichen Rinnen, ideal zum Steilwandfahren.
Die Dolomiten im Alpenraum sind für Steilwandfahrer der perfekte Trainingsraum. Für Erstbegehungen und -abfahrten ist hierzulande jedoch wenig Spielraum, denn fast alle Rinnen sind bereits befahren. Alpin-Legenden wie Toni Valeruz und Heini Holzer haben hier die Anfänge dieses Extremsports gestartet. In den georgischen Dolomiten von Chauki findet sich eine ähnlich spektakuläre Bergkulisse wie in unseren Dolomiten, mit dem Unterschied, dass es dort noch keine Pioniere gegeben hat.
Aufbruch ins Abenteuer
Am Ostermontag, den 27. März 2016 war es nach langer gemeinsamer Planungszeit dann soweit: Wir Aaron, Daniel, Wolfi und der Fotograf Ale d’ Emilia fliegen nach Georgien. Nach einer Nacht in Tiflis ging es in Richtung Chauki. Aber dort war nichts so, wie wir uns es vorgestellt haben: die Berge schienen unerreichbar, der Schnee war unüberwindlich hoch, das Wetter trotz guter Vorhersage schlecht. Als wir mit großer Mühe den richtigen Platz für das Basislager auf 2700 Metern Höhe erreicht haben, konnte das Abenteuer endlich beginnen.
Zu den täglichen Sicherheitsmaßnahmen im Basislager gehörte das Erlangen eines halbwegs genauen Wetterberichtes, das Erstellen von Schneeprofilen und das Einschätzen der Lawinensituation. Risikokompetenz und Erfahrung sind für die eigene Sicherheit grundlegend, Vertrauen zu den Kameraden und gegenseitige Wertschätzung sind die wichtigsten Voraussetzungen für dieses gemeinsame Abenteuer. Nicht unterschätzen durften wir, dass sich auch Wildtiere in dieser Gegend aufhalten. Für einen Bären oder Wolf ist man doch leichte Beute.
Dafür biss die Temperatur nachts zu, bis zu minus 20 Grad Celsius war keine Seltenheit.
Im Basislager war es alles andere als gemütlich. Hüttengaudi ist anders. Der Wecker ging um 5 Uhr morgens, denn spätestens um 6 Uhr wollten wir zum Aufbruch bereit sein. Gekocht hat uns Daniel, was leicht zu tragen und vor allem nahrhaft war. Schüttelbrot und Speck dürfen natürlich im Speiseplan nicht fehlen. Von der Tour zurück, hieß es erstmal Wasser kochen und Mittag essen. Dann wurde die Ausrüstung so gut wie möglich getrocknet, die Gerätschaften neu sortiert und der Rucksack gepackt. Die Seile, Haken und der Rest der Ausrüstung wurden nach Gewicht aufgeteilt. Für die Tour am nächsten Tag war jetzt alles bereit. Nun war wieder Wasser kochen fällig, fürs Abendessen. Zähneputzen gehört zu den Mindestanforderungen an Hygiene, bei minus 20 Grad und mit gefrorener Zahnpasta ist dies auch für einen erfahrenen Alpinisten nicht lustig. Vor Einbrechen der Dunkelheit bereiteten wir uns auf die eiskalte Nacht vor: vollständig bekleidet krochen wir in die dicken Schlafsäcke, mit zwei Daunenjacken und Goretex-Bekleidung. Die nächste Tagestour war das Thema des Abends und wir hofften bald einzuschlafen.
Eleven Lines
Ab dem ersten Tag im Basislager unternahmen wir täglich eine Tour. Nicht der Gipfel war das Ziel, sondern die spektakulären Skiabfahrten. Die 11 Rinnen und Steilwände, die wir bestiegen haben, sind zum Teil bis zu 60 Grad steil und 500 bis 1000 Meter lang, sowie Erstbefahrungen, da es dort weder sichtbare Spuren gab oder es einfach unwahrscheinlich ist, dass jemand vor uns schon dort war. Die Abfahrt erwies sich nicht selten als sehr gefährlich, denn manche Rinne hatte eine Breite von nur wenigen Metern und war extrem Exponiert. 60° kann man sich etwa so vorstellen: man steht aufrecht in der Rinne und berührt mit dem Ellebogen die Wand. Dazu braucht es exzellente Verhältnisse. Auf eine schnelle Rettung ist in Georgien nicht zu hoffen.
Einige Erstbegehungen-befahrungen, die wir besonders ins Herz geschlossen haben und sie vor allem durch ihre Wildheit, Steilheit und Ausgesetztheit beeindruckt haben sind die M-Linie, 60 Grad Steigung und 550 m Länge, die Chauki-line mit 55 bis 60 Grad und 650 m Länge, die Small-line mit 700 m Länge, 60 Grad und Abseilstelle, die Big-line, eine sehr markante und breite Rinne mit 50 Grad Neigung und 550 m Abfahrt und die Unexpectedly Line mit 60 Grad und gar 2 Abseilstellen.
Nach zwei Wochen in der weißen Wildnis kehrten wir nach Tiflis zurück. Das Essen im einfachen Restaurant war einmalig, der Koch hatte seine Mühe, für uns drei hungrige Abenteurer genug zu kochen. Ein Besuch in den Thermen mit anschließendem Peeling brachte uns in einen einigermaßen präsentablen Zustand zurück. Heiße Bäder, vor allem Schwefelbäder sind typisch für Tiflis. Der georgische Name der Stadt Tbilisi bedeutet entsprechend „heiße Quelle“. Schließlich sind wir am 10. April im Flughafen von Venedig glücklich gelandet.
Das Projekt The wild steep Chauki dolomites - exploring-steep skiing-speedriding project von Wolfi Hell, Daniel Ladurner Aaron Durogati und dem Kameramann Ale d’ Emilia beinhaltet eine Dokumentation mit Bildern und Videos, die eine Geschichte erzählen. Die Geschichte von drei jungen Alpinisten, die in einem fernen Land, das der eigenen Heimat landschaftlich sehr ähnlich ist, Berge erklimmen, Menschen treffen, unberührte Natur genießen und grenzenlos steep speedriden.
Text: Katia Squeo und Daniel Ladurner
Infos zum Steilfandfahren in Georgien bei Daniel Ladurner.
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