29 Januar 2014

Mount McKinley - der kälteste Berg der Welt im Winter

Packende, kalte Story über eine Winterbesteigung des Mount McKinley von drei Österreichern vor genau 25 Jahren.

„….und noch die Farbe der Schuhe!“, sagte der Nationalpark - Ranger und trug die Farben unserer Ausrüstungsgegenstände mit den persönlichen Daten peinlich genau in ein Formular ein. „das erleichtert die Identifikation der Toten!“ Wir waren indes nur leicht irritiert und nahmen dieses makabere Detail gleich am Beginn unserer Expedition mit Humor. Wir gedachten natürlich nicht gemäß der Vermutung unseres Gegenübers unser kurzes, aber umso intensiveres Leben schon wieder zu beenden.

Heli Steinmassl, Heli Mittermayer und ich befanden uns am größten Tisch im Roadhouse, einem legendären Cafe in der kleinen ehemaligen Goldgräbersiedlung Talkeetna. Es war Anfang Februar, bitter – um nicht zu sagen, brutal kalt, und unser Ziel eine Besteigung des Mt. McKinleys. Für die letzten Vorbereitungen hatten wir uns hier mit dem Ranger zu einem persönlichen Gespräch getroffen; während wir schon im Vorfeld mit den harten Fakten vertraut gemacht wurden: wir mussten mit Temperaturen bis um die Minus 60 Grad Celsius verbunden mit orkanartigen Stürmen bis 160 km/h am Denalipass im Winter auf 6000 m Höhe rechnen. Immerhin befanden wir uns ja auch nur knapp südlich des Polarkreises. Vor uns wurde der Gipfel schon von sechs oder sieben Personen im Winter erreicht, zwei kamen dabei um und einige trugen Erfrierungen an den Extremitäten davon. Bis 2010 haben sechzehn Personen den Denali, wie der Mt. McKinley im athapaskischen genannt wird, im Winter bestiegen, sechs davon sind bei dem Versuch ums Leben gekommen.

Der Gletscherpilot Doug Geeting

„Ihr müsst roundtrip, und das im Voraus bezahlen“, machte uns der legendäre Gletscherpilot Doug Geeting klar. Auf unseren Einwand, nach der Bergtour eventuell mit den Schiern zum Alaska Highway zu gehen, ging er gar nicht erst ein. Dafür konnten wir unsere ohnehin sehr knapp bemessene Expeditionskasse entlasten: Doug erlaubte uns in seinem Office mit unseren Schlafsäcken zu übernachten. Erst als wir uns zum Schlafengehen einfanden stellten wir fest, dass es keine Heizmöglichkeit in der kleinen Holzhütte gab. Draußen hatte es rund minus 40 Grad und langsam wurde uns klar, warum die beste Zeit für eine Besteigung dieses Berges, und damit die Hauptsaison für die Gletscherpiloten, der Juni war.

Alles war gepackt und pünktlich holte uns Doug mit seinem Pick up am nächsten Morgen ab. Am 15. Februar 1989 flogen wir über die herrliche Landschaft der Alaskarange und die bizarren Granittürme von „Little Switzerland“ auf den Kahiltna Gletscher. Doug warf im Landeanflug einen schwarzen Müllsack aus dem Fenster um beim nächsten Anflug die Konturen besser sehen zu können. Beim dritten Anflug setzte Doug die Maschine sanft wie auf einem Kopfpolster auf. Die erste Überraschung folgte beim Aussteigen: grimmige Kälte empfing uns, ebenso Pulverschnee bis zum Oberschenkel!

Erst mal war „Landepiste treten“ angesagt. Wir sanken mit angeschnallten Schiern immer noch bis zum Knie ein und dementsprechend anstrengend war das Treten. Nun mussten wir die Maschine am Heckflügel mit aller Kraft zurück halten, während Doug Gas gab. Wir versanken in einer Staubwolke und als wir die Maschine losließen, schnellte das kleine rote Flugzeug mit vollem Speed den Hang hinunter. Er konnte nicht abheben und verschwand hinter der Kuppe des nächsten Hügels. Die gewaltigen Dimensionen der  Berge hier wurden uns bewusst, als wir kurze Zeit später das Flugzeug winzig klein unten am Gletscher abdrehen sahen. Das war noch mal gut gegangen. Von nun an waren wir allein auf uns gestellt. Unser kleines Funkgerät funktionierte nur einige Kilometer weit, also nur wenn ein Flugzeug über uns flog. Wir packten unsere Schlitten und bei einbrechender Dunkelheit machten wir uns auf den Weg.

Spurarbeit nur ohne Schlitten möglich

Bald stellte sich heraus, dass es unmöglich war, mit den Schiern im knietiefen Schnee zu spuren und gleichzeitig einen Schlitten zu ziehen. Wir stellten um, sodass der Erste zwar keinen Schlitten hatte, aber dafür spuren musste, der Zweite die Spur verbesserte und der Dritte zwei Schlitten zog. Auf diese Weise gelangten wir im Verlauf der Nacht zu unserem geplanten Lagerplatz. Besonders sind mir die immer wieder auf und abschwellenden Nordlichter in Erinnerung. Gegen Morgen kochten wir etwas und krochen in unsere warmen Schlafsäcke. Wir wollten im unteren Teil des Berges die kälteste Zeit des Tages durch Bewegung überbrücken und die wärmste Zeit des Tages zum Ausruhen nutzen. Hell war es um diese Jahreszeit ohnehin nur 8 bis10 Stunden pro Tag.

Nach drei Tagen erreichten wir den Kahiltnapass und beschlossen eine vorgeschobene Basis in Form eines Iglus zu errichten. Hier deponierten wir das meiste unserer Vorräte und nahmen nur für rund 1 Woche Essen mit. So konnten wir am nächsten Morgen bei strahlendem Sonnenschein und relativ warmem Wetter den weiten Weg über Squirrel Hill und Windy Corner zum Camp auf ca. 4300 m ohne Schlitten in Angriff nehmen. Wir stiegen ohne unser mitgebrachtes Zelt über die vom Wind freigelegten Fixseile über den eigentlichen Westbuttress auf und kamen gegen Abend im High Camp auf 5300 m an. Hier wollten wir eine alte Schneehöhle finden und fanden tatsächlich nach einigem Sondieren ein altes Depot. Wir vergrößerten die Höhle, sodass wir zu dritt Platz fanden, jedoch war an ein aufrechtes Sitzen nicht zu denken, es war einfach eng und niedrig. Wir hatten ein kleines Thermometer mitgebracht und stellten fest, dass wir bei kuscheligen minus 23 Grad im Schlafsack lagen.

Aufbruch zum Gipfel mit übergroßen Spezialschuhen

Gegen Mittag machten wir uns am nächsten Tag für den Gipfel fertig. Es war ziemlich schwierig mit einer kleinen Zange die Steigeisen auf den übergroßen Spezialschuhen und den zwei Paar Übergamaschen an zu bringen. Schließlich gelang es, und wir starteten in die lange Querung hinauf zum Denalipass. Als wir endlich in die Sonne schauen konnten, machten wir eine kleine Pause und stärkten uns mit Kakao aus der Thermosflasche. Glücklicherweise war der Schnee über 6000 m  durch den Wind verfestigt, sodass wir relativ einfach vorwärts kamen. Auch machte sich unsere Akklimatisierung der letzten Wochen am Aconcagua sehr positiv bemerkbar. Wir spürten die Höhe kaum und konnten in einem für die Höhe sehr raschen Tempo gehen. Bald hatten wir das große Plateau des „Football Fields“ kurz unter dem Gipfel überwunden und stiegen die letzten 150 Höhenmeter zum Gipfelgrat hinauf. In dem Moment, als wir den Grat erreichten traf mich eine starke Windböe, ich strauchelte, konnte mich aber wieder fangen. Nur die Kapuze der Daunenkleidung wurde mir zurückgeschleudert und meine Haube flog in hohem Bogen davon. Zum Glück hatte ich eine Reservemütze mit.

Im letzten Dämmerlicht des Tages erreichten wir den Gipfel, in der Ferne konnten wir bereits die ersten Lichter von Anchorage erkennen. Wir hatten es tatsächlich geschafft, lagen uns in den Armen, es war der 20. Februar 1989. Nach so vielen Wochen und Reisen von Südamerika bis Alaska, kamen nun die Emotionen hoch. Jeder von uns hatte einen Fotoapparat dabei, aber sämtliche Apparate froren nach ein, zwei Bildern ein. Wir riskierten einen Blick auf unser Thermometer. Es sollte bis minus 55 Grad anzeigen, die Säule war aber völlig verschwunden, es war also eindeutig noch kälter. 

Beim Abstieg kam der Sturm

Plötzlich wurden wir von einer kleinen Wolke eingehüllt, die einzelnen Windböen verwandelten sich rasend schnell in einen konstanten, immer stärker werdenden Wind.-  Nichts wie weg. Wir begannen abzusteigen. Als wir beim Kahiltna Horn angekommen waren, konnten wir noch die jagenden Nebelschwaden unten am Denalipass erkennen, aber bald wurde es schon wieder stockdunkel.

Die Brillen wurden nutzlos, da völlig vereist, die mitgebrachten Lampen versagten völlig und wir erkannten, dass es jetzt wirklich ernst wurde. Winter, fast am Polarkreis in über 6000 m Höhe und einsetzende Dunkelheit in Kombination mit einem handfesten Wintersturm….

Wir gingen ganz dicht hintereinander um ja zusammen zu bleiben. Die Sicht wurde buchstäblich Null, man konnte tatsächlich die Hand vor den Augen nicht mehr erkennen. Wie lange irrten wir nun schon durch die Dunkelheit und durch die extreme Kälte? Wir müssten doch schon längst die Querung unten in der Gegend des High Camps sein – oder waren wir im Sturm statt nach Westen nach Osten vom Denalipass abgestiegen? Der Hang schien flacher zu werden, dafür nahmen die Windböen zu. Immer wenn eine Bö ankam, flogen wir einige Meter durch die Luft und landeten unsanft auf allen Vieren am Boden. Wo war nur unsere Schneehöhle? Ohne den rettenden Kocher und Schlafsack waren wir praktisch tot, lebendig tiefgefroren.

Meine Gedanken rasten durch mein übermüdetes Gehirn, was konnten wir nur tun? Wo waren wir überhaupt? Wir hatten keine Ahnung, hatten uns völlig verirrt. Da hatte ich eine Idee: wir waren sicher mit dem Wind falsch gegangen. Wir brauchten also nur gegen den Wind gehen, dann müssten wir eigentlich wieder in bekanntes Gelände kommen.

Die Augen begannen einzufrieren

Da bemerkten wir, dass unsere Augen zufroren. In Windes eile bildete sich eine Eiskruste und verdeckte wie eine Klappe die Augenlider. Nach einigen Schritten gegen den Wind mussten wir daher immer wieder unsere Augen enteisen. Plötzlich trieb eine Windböe die Wolken etwas auseinander und der Vollmond beleuchtete eine sturmumtoste kleine Ebene, mitten darauf, einige hundert Meter vor uns ein Felsblock. Je näher wir kamen, umso deutlicher konnten wir erkennen, dass sich der „Felsblock“ im Sturm bewegte. Wo waren wir? Beim High Camp gab es keinen freistehenden Felsblock. Als wir näher kamen wurde uns schlagartig klar, dass es sich um ein Zelt handelte. Eine starke Sturmböe warf uns mitten drauf, und mühsam rappelten wir uns wieder auf die Beine. Der Reissverschluss wurde von innen geöffnet: „Summit successful?“ wurden wir gefragt. Es waren drei Japaner, die einige Tage nach uns ebenfalls eine Winterbesteigung versuchen wollten. „Ja, aber wo ist unsere Schneehöhle?“ wollten wir nur wissen.

Das Zelt der Japaner befand sich am üblichen Platz im Highcamp auf 5 300 m und unsere Schneehöhle war gleich hinter dem Zelt. Völlig erledigt überwanden wir die wenigen Meter, wobei ich auch noch unglücklicherweise in die Schneehöhle einbrach. Bevor wir uns ausruhen konnten, mussten wir also auch noch mühsam mit kleinen Schneestücken unsere Höhle reparieren.

Rasch krochen wir danach in unser geschütztes Loch, das einzige was ich auszog, waren die Steigeisen. Ich stülpte die Kapuze des Schlafsacks über meinen Kopf, wollte den scheinbar ewig dauernden Sturm nicht mehr hören. Heli begann mit dem Kochen und bald konnten wir sogar einige Schichten Bekleidung in den Schlafsäcken ausziehen. Wir harrten eine Nacht, einen Tag und noch eine Nacht aus, wie erschlagen in der Schneehöhle. Plötzlich hörten wir keinen Sturm mehr und ganz deutlich konnten wir die Schritte eines Menschen über uns hören. Wir konnten endlich weiter absteigen.

Wir packten nur das nötigste ein, und verließen fluchtartig die Szenerie. Der Sturm hatte die Wolken etwas zerteilt und je tiefer wir über den Westbuttress abstiegen, umso „wärmer“ wurde es. Nach den Fixseilen schnallten wir unsere Schier an und fuhren in einem Zug hinunter bis zu unserem Iglu am Kahiltna Pass. Nur noch die letzten zehn cm schauten von der Sonde heraus, die den Eingang zu unseren Vorräten markierte. Wie Maulwürfe gruben wir uns mehrere Meter durch den Schnee und wie ein Eispalast kam uns unser bequemes und großes Iglu nun vor.

Der Sturm nahm wieder zu und wir mussten nun einige Tage warten. Um uns die Zeit zu verkürzen kochten wir viel, und begannen schließlich im Iglu eine Toilette zu bauen, um rascher und bequemer unser Geschäft vorrichten zu können. Als wir am achten Tag mit dem Zubau fertig waren, wurde das Wetter schön und wir fuhren mit unseren Schiern weiter den Kahiltna Gletscher hinunter. Im Bereich des Basislagers konnten wir in der Dunkelheit ein Licht erkennen. Ob da jemand auf die Japaner im Basislager wartete?

Japanische Tragödie und 14 Wartetage im BC

Shunzo Sato hieß der Japaner. Er empfing uns mit heißem Tee und wollte von uns wissen, ob wir seine „Members“ gesehen hätten. Er hätte schon seit Tagen keinen Funkkontakt zu ihnen. Wir erzählten ihm unsere Geschichte und bauten unser mittlerweile schon arg ramponiertes Zelt auf. Seine drei Teammitglieder waren leider im Sturm umgekommen. Man fand ihre steifgefrorenen Körper drei Monate später unter dem Denalipass.

Am nächsten Morgen tobte der Sturm wieder weiter. Als ich erwachte, konnte ich mich keinen Zentimeter bewegen, ich war wie in Schnee einbetoniert. Unser Zelt hatte ein großes Loch und der Wind hatte den Schnee ins Innere herein geweht.

Heli wollte unserem Abenteuer einen krönenden Abschluss verschaffen und fuhr mit den Schiern weiter. Einige Tage später erreichte er die Petersen Road und von dort den Alaska Highway. Wir anderen warteten darauf mit Doug Geeting zurück nach Talkeetna fliegen zu können. Der Japaner wollte eine Rettungsaktion für sein Team organisieren und ich sollte eigentlich schon längst in Marokko Schitouren im Hohen Atlas führen.

Nach einigen weiteren Tagen konnte Doug landen, das Wetter war aber nach wie vor recht windig und er konnte nur zwei Leute in seiner kleinen Cessna mitnehmen. Ich entschied mich zu warten, dachte aber nicht, dass ich damit meine Wartezeit „freiwillig“ auf 14 Tag ausdehnen würde.

Die Zeit hier am Gletscher wurde mir nun wirklich schön langsam lang. Weit wagte ich mich wegen der Spalten nicht von der geplanten Landestelle des kleinen Flugzeugs weg, und jeden Tag hoffte ich, dass es mein letzter Tag am Gletscher werden würde. Ich zwang mich die Piste mindestens drei Mal pro Tag mit den Schiern zu treten, damit ich mich bewegte und besser schlafen konnte. Auch war mir nicht ganz klar, warum ich einfach nicht abgeholt wurde. Einige Male kreiste ein Flugzeug ober mir, wild schwankend im Wind, aber es konnte nicht landen und verschwand schon nach wenigen Minuten hinter dem Mt. Hunter.

Ich fand ein Buch im verlassenen Zelt der Japaner – leider auf Japanisch, ich hatte also bis auf weiteres keinen Lesestoff. Am 14. Wartetag schließlich gelang es Doug wieder seine kleine Cessna am Gletscher auf zu setzen. Den Tag, als wir bei strahlendem Sonnenschein in Talkeetna landeten, werde ich sicher mein ganzes Leben lang nicht vergessen.

Teilnehmer:
Heli Mittermayer, Grünau, damals 20
Heli Steinmassl, Spital a Phyrn, damals 29
Walter Laserer, Gosau, damals 27

Text & Fotos: Walter Laserer

Anm.: Walter Laserer gründete vor 25 Jahren seine Alpinschule Laserer alpin: mehr....


Webtipp: Laserer alpin

 



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