Bericht von Gerlinde Kaltenbrunner:
Tagelang warteten wir im Basislager auf wind - und schneearme Tage, die wir für einen zweiten Versuch, den Nuptse zu besteigen, nützen wollten.
Endlich war es soweit. Am 14. Mai stiegen David und ich nach Lager II auf und von dort am darauffolgenden Tag weiter zum Pfeilerfuß. Der 16. Mai sollte unser Gipfeltag werden. Mit Ralf standen wir zweimal täglich in Kontakt, der uns kurzfristig empfahl, doch lieber auf den 17. Mai zu warten. Dieser Tag sähe windärmer und insgesamt stabiler aus. So warteten wir am 16. Mai am Wandfuß die ersten Sonnenstrahlen ab, packten unsere Rucksäcke und stiegen in die Nordpfeiler Route ein. Wir hatten umdisponiert und entschieden uns für ein weiteres Biwak auf ca.7250 m.
Der Pfeiler im unteren Teil ist sehr ausgesetzt und mit viel Blankeis durchzogen. Hochkonzentriert kletterten wir am laufenden Seil Meter für Meter höher. Ca. alle 20 Meter setzten wir eine Eisschraube und kamen dadurch sicher und stetig voran. Am oberen Ende des Eispfeilers steilt sich die Route über 20 Meter noch einmal ziemlich auf; dann hatten wir gut ein Drittel geschafft und beschlossen, bei einsetzendem Schneefall und kaum Sicht einen Biwakplatz einzurichten. Ohne viele Worte waren David und ich uns einig. Wir gruben, hackten und arbeiteten, bis unser kleines Zelt wieder an einsamer, ausgesetzter Stelle dastand wie auf einem Adlerhorst.
Nach dem stundenlangen, steilen, anspruchsvollem Aufstieg, fühlten wir die Müdigkeit. Die schweren Rucksäcke, das ständige gegenseitige sichern, hohe Konzentration, das alles machte sich bemerkbar. Trotzdem lief alles wie am Schnürchen. Einer holte Eis, während der andere im Zeltinneren alles herrichtete.
Wir achteten darauf, dass jeder ausreichend Flüssigkeit zu sich nahm und versuchten, uns für den nächsten Tag zu erholen.
Nur mit wenigen Menschen läuft alles so stimmig und unkompliziert wie mit David. Ohne viele Worte wechseln zu müssen, weiß jeder von uns, was er zu tun hat und wo die Prioritäten liegen.
Abends bestätigte Ralf noch einmal den Wetterbericht, der für uns besonders wichtig war. Bei einsetzendem Schneefall würde es für uns sehr kritisch werden.
Um 2.00 Uhr früh läutete Davids Wecker. Heute früh hatte ich Glück - er war dran mit Schnee schmelzen. So durfte ich noch eine halbe Stunde länger in meinem Schlafsack dösen. Das gesamte Zeltinnere hatte sich in eine Eishöhle verwandelt. Sobald einer von uns irgendwo am Zelt anstreifte, rieselte das Eis. Wir kennen diese Situation, und trotzdem ist es jedes Mal eine Herausforderung, auch solche Momente gelassen hinzunehmen.
Kurz vor den ersten Sonnenstrahlen, um 6.15 Uhr, brachen wir bei eisigen Temperaturen auf. Wieder am laufenden Seil versuchten wir die bestmögliche Linie durch Fels, Schnee und Eis nach oben zu finden.
Mittlerweile erschwerte uns die anstrengende Spurarbeit ein rasches Vorwärtskommen. Regelmäßig wechselten wir uns dabei ab. „Mein Mantra“ schlich sich wieder in meinen Kopf. „Ich habe Kraft, Energie, Erfolg, ich bin gesund und dankbar“. Bis oben hin begleitete es mich.
Der Tiefblick während des gesamten Aufstiegs war schlichtweg atemberaubend. Wir konnten schon von unserem Biwakplatz aus das Basislager, das gesamte Western Cwm, Lager II, Lager III in der Lhotse Flanke und sogar die tibetische Hochebene sehen!!!
Die beiden markanten Eistürme in Gipfelnähe rückten langsam näher. David zweifelte ein wenig, ob dort oben tatsächlich der Gipfel wäre. 20 Meter unterhalb wechselten wir noch einmal den Vorstieg.
An Davids Freudenschrei konnte ich erkennen, dass er tatsächlich am Gipfel angekommen war. Ich kletterte hinterher, bereits bei den letzten Metern hin zum höchsten Punkt, war wieder alles geballt da. Riesengroße Freude, Dankbarkeit und Glück durchströmten mich.
16 Jahre nachdem Ralf mit Axel Schlönvogt über die „Scott Route“ den Gipfel erreichte, durften nun auch David und ich bei fast Windstille!!! und einzigartigen Ausblick hier oben stehen. Insgesamt hat der Nuptse Hauptgipfel nur sehr wenige Besteigungen, während sich am Everest jedes Jahr mehrfach lange Menschenketten bis zum Südsattel schlängeln.
Von hier oben ist die Perspektive wunderschön, völlig anders als die von Mt. Everest und Lhotse, obwohl diese drei Berge unmittelbar beisammen stehen.
Nun mussten wir gemeinsam vor allem wieder gesund hinunter kommen. Noch einmal war höchste Konzentration erforderlich. Kein auch nur noch so kleiner Fehler durfte uns passieren. Wie oft waren wir bereits in solch einer Situation, kannten diese Momente. Umso wichtiger war es, aufzupassen. Durch die Routine läuft man Gefahr, nachlässig zu werden. Genau das wollten wir vermeiden.
Müde und völlig ausgekühlt kamen wir an unserem Biwakplatz an. Wir beschlossen, die Nacht noch einmal dort zu verbringen um am nächsten Morgen das letzte Drittel des Pfeilers gut und sicher zu bewältigen. Früh morgens ersehnten wir die Sonne wie selten zuvor. Eine eisige Nacht lag hinter uns. Kaum 2 Stunden später wurde die Hitze beinahe unerträglich. Diese Kontraste erlebe ich nirgendwo anders so intensiv... in allen Belangen.
Abkletternd und zum Teil abseilend kamen wir der Randkluft des Peilerfusses näher. Bald hatten wir es geschafft.
Überglücklich erreichten wir um die Mittagszeit Lager II. Ralf erwartete uns dort bereits. Insgeheim hatte ich gehofft und gebetet, ihn dort anzutreffen. Er kam vom Südsattel (7.950 m) zurück. Eigentlich wollte er an diesem Tag den Gipfel des Mt. Everest ohne Flaschensauerstoff versuchen.
Er hatte am Vortag seine gesamte Ausrüstung ohne fremde Hilfe zum Südsattel hinaufgetragen. Am Morgen spürte er, dass er seinem Körper zu viel zumuten würde, er nicht gesund genug war, um diesen Aufstieg zu wagen. Ich machte mir während unserer Besteigung am Nuptse immer wieder Gedanken, ob er wohl seine Erkältung tatsächlich komplett auskuriert hatte. Ich hoffte und vertraute darauf, dass Ralf die für ihn richtige Entscheidung treffen würde, wie er dies schon oft getan hatte.
Nun waren wir wieder zusammen. Ralf hat mir versprochen, den Everest nicht mehr zu versuchen, worüber ich unheimlich erleichtert bin. Um ohne Hilfe von Hochträgern und ohne Flaschensauerstoff in diese Höhen zu steigen und vor allem wieder gut und gesund nach unten zu kommen, muss wirklich alles hundertprozentig stimmen.
Gestern Abend saßen David, Ralf und ich sehr müde aber erfüllt von unbeschreiblich eindrucksvollen, intensiven Tagen, in unserem Basislager. Bei einem Teller Kartoffeln erzählten wir uns gegenseitig und freuten uns. Das Leben ist so schön!!!
An dieser Stelle möchte ich mich von Herzen für euer Interesse und fürs Daumen drücken bedanken! Ein großes Dankeschön an meine Sponsorpartner die mich auch nach der Besteigung aller 14 Achttausender unterstützen und weiterhin mit mir zusammenarbeiten!
DANKE an Stefan Dech und sein Team des Deutschen Luft und Raumfahrtzentrums. Vielen Dank an Kathrin und Nicola, die zu Hause nach dem Rechten sehen und uns den Rücken - nicht nur während der Expeditionen – freihalten.
Nie zu vergessen die mühevolle Arbeit unseres Koches Sitaram, der uns seit Jahren begleitet und uns bestens bekocht. Vielen Dank an meine Freundin Billi Bierling für die englische Übersetzung.
Euch Allen wünsche ich einen wunderschönen Sommer, bleibt gesund und wagt, eure Träume so gut es geht zu leben.
Einen ganz herzlichen Gruß aus dem Basislager!
Gerlinde Kaltenbrunner
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