Erfolgreiche Abschlussexpedition des Alpinkaders der Naturfreunde 2017 im indischen Himalaya.
„Das Geheimnis des Vorwärtskommens besteht darin, den ersten Schritt zu tun.“ Mark Twain
Ein altes Sprichwort sagt: Eine Reise von tausend Kilometern beginnt mit dem ersten Schritt. Als wir am 30.7. in München ins Flugzeug nach Neu-Dehli steigen, beginnt nicht nur eine Reise nach Indien, sondern auch ein großes Abenteuer mit ungeahnten Wendungen. Monatelange Planung, Vorbereitungen und angepasstes Training liegen hinter uns, und wir können es kaum erwarten, endlich unsere Gipfel in Angriff zu nehmen.
Nach einigen Tagen in der Stadt Leh, in der wir die erste Hürde – indisches Essen – ohne gesundheitliche Probleme schaffen, geht’s in wilder Fahrt über holprige Straßen, die mit jedem Kilometer schlechter werden, zwei Tage lang immer tiefer ins Zanskar Himalaya. Karge Hochebenen, alte, zahnlose Frauen, die riesige Heuballen schleppen, die ersten 7000er am Horizont und zufrieden grasend Yaks erinnern mehr an das benachbarte Tibet als an das bunte, hektische Treiben von Neu-Dehli.
In Padum, einem verschlafenen Dörfchen, endet die Straße und dort sollte es zu Fuß weitergehen. Doch das Schicksal will es anders und wir machen mit dem Ausdruck „Inschallah“ (arabisch: „So Gott will“) Bekanntschaft – schon Albert Precht nannte es treffend das indische „Vielleicht“. Drei Tage lang schlagen wir uns mit Trägern herum, die unser Gepäck nicht tragen können oder wollen und mit wilden Yaks, die es definitiv nicht wollen und alle 20 Meter abwerfen. Zur Krönung bedienen sich die jungen Träger noch in unseren Taschen und unser Ziel, das Zanskar-Khantang Gletscher, rückt langsam aber sicher in unerreichbare Ferne. Schweren Herzens müssen wir die Aktion abbrechen – wenigstens erhalten wir das Gestohlene zurück.
Wir haben das Patagonien Indiens entdeckt
Zum Glück haben wir ein Alternativziel zur Hand – auf der Autofahrt nach Padum ist uns in einem Seitental eine markante Bergspitze aufgefallen und dorthin kehren wir jetzt zurück. Schnell ist das Basecamp innerhalb der Mauern eines buddhistischen Frauenklosters aufgeschlagen und unsere Rucksäcke für das unbekannte Tal gepackt. Einige Stunden und 1000 Höhenmeter später machen wir begeistert eine unerwartete Entdeckung: der markante Berg, wir nennen ihn nur mehr unseren „Cerro“, steht nur am Anfang einer Arena aus steilen Granitwänden, schlanken Felsnadeln, scharfen Graten und formschönen, eisbedeckten 6000ern. Wir haben das Patagonien Indiens entdeckt!
Auf 4.800 Metern schlagen wir am 8.August unsere Zelte auf und erforschen am nächsten Tag gleich unser Paradies. Unser Hauptziel, der Cerro, präsentiert sich als sehr anspruchsvoll und mit unseren Vorräten vorerst nicht machbar. In zwei Teams gelingen uns die ersten Gipfel: Michi, Lorin und Timo klettern über eine neue Route, die sie „North-East-Face“ nennen, auf einen 6000er, während Tom und ich eine geniale Mixed- und Felsroute auf einen unbestiegenen 5000er eröffnen.
Nun sind die Vorräte aufgebraucht, und wir steigen ins Basecamp ab, um neue Kräfte zu sammeln und neues Material zu holen. Nach zwei Tagen sind wir zurück – unser Ziel: der Cerro über die Nordwest-Wand. Diese Route wollen wir alle gemeinsam klettern, wegen der Länge und Schwierigkeit sind wir auf ein leichtes Biwak vorbereitet. Wir kommen schnell voran, versteckte Risse leiten uns durch die Wand und dank toller Teamarbeit richten wir bereits im Aufstieg die Abseilstände mit jeweils einem handgeschlagenen Bohrhaken oder einer Köpflschlinge aus. Vor der abweisenden Gipfelwand, die wir über einen messerscharfen Grat erreichen, ist Schluss für den Tag – wir fixieren Seile und beziehen auf einem abschüssigen Band Sitzbiwak. Nach einem schnellen Frühstück gehen wir die schwere Gipfelwand an, Lorin klettert, zum Teil mit heiklen technischen Passagen, zwei anspruchsvolle Längen - die letzte Seillänge zum Gipfel darf ich klettern. Ein steiler, ausgesetzter Riss, ein kurzer Aufschwung und der Gipfel gehört uns! Oben angekommen finden wir eine neue Keflarschlinge, die uns sagt, dass uns der Gipfel kurz vorher weggeschnappt wurde – doch die Erstbegehung unserer schönen Route gehört uns und wir genießen kurz unseren Erfolg, bevor es nach unten geht – ein langer Abstieg liegt vor uns!
Zwischenfälle indischer Art
Glücklich und zufrieden brechen wir unser Hochlager am nächsten Tag ab und gönnen uns etwas Rast im Basecamp. Unser nächstes Ziel: ein vereister Granitgipfel Richtung Kargil. Nach ein paar Zwischenfällen indischer Art – es kommt nur ein Jeep und wir müssen einen Teil unsers Gepäcks und die indischen Freunde vorerst zurücklassen – können wir das nächste Basecamp auf einer schönen Wiese, umringt von vielversprechenden Boulderblöcken, beziehen. Der ideale Ort, um unsere Expedition abzuschließen! Für die letzten Tage finden wir zwei Ziele: Tom und Timo ziehen mit den Eisgeräten und minimaler Biwakausrüstung los, um ein Eiscouloir auf einen 5000er zu klettern, während Lorin, Michi und ich die Erstbegehung einer 500 Meter hohen Granitwand im Sinn haben. Zuerst müssen wir noch einen reißenden Fluss überqueren und richten, nachdem es Michi auf die andere Seite schaffen konnte, eine Tyrolian Traverse ein.
Beide Touren fordern uns noch einmal, Im Eisgully wartet morsches Eis, ein eisiges Biwak und ein langer Abstieg, während „Team Fels“ nach einer ersten Erkundungskletterei in einem langen Tag über herrliche versteckte Risse, anspruchsvolle Plattenrunouts und schwer zu sichernde Längen mit den Stirnlampen den Gipfel erreicht. „Team Fels“ erwartet im Tal noch eine besondere Herausforderung: der Fluss ist so stark angeschwollen, dass Michi und ich bei der Überquerung „gscheid mitgewaschen“ werden - zum Glück kommen und die Inder zur Hilfe und wir sitzen wenig später mit trockenen Sachen vor dampfenden Schüsseln. Gemütliches Bouldern, eine Abschlussfeier in Leh und eine wilde Rikschafahrt in Neu Dehli sind noch das Sahnehäubchen auf unserer gelungenen Expedition und als wir am 30.8. in München bei einer Tiroler Jause zusammensitzen, kann Timo Resümee über unsere Ziele ziehen: „1. Gesund zurückkommen, 2. Als Freunde, 3. Mit Gipfelerfolgen – alles haben wir geschafft.“ Was kann man sich mehr wünschen?
Facts-Box (Infos über unsere Routen):
- „Inschallah, maybe“ Torre Fanni (5.400m) – 9 Seillängen, 350m, M6, 5c, 60°, 10.8.2017 (Thomas Holler, Barbara Vigl)
- „North-East-Face“ Peak 6060 m – 1000m, 55°, 4a, 10.8. 2017 (Lorin Etzel, Michale Groher, Timo Moser)
- „Dust. From dusk till dawn“ Peak 5600 m (Cerro Zanskar) – 15 Seillängen, 500m, 6a, A1, 15.-16.8.2017, Thomas Holler, Lorin Etzel, Michale Groher, Timo Moser, Barbara Vigl)
- „My local river is a nightmare“ Rangdum´s Afterwork Pillar (4.500m) – 19 Seillängen, 500m, 6a+ (6a obligat), 21.-22.8.2017 (Michael Groher, Lorin Etzel, Barbara Vigl)
- „The last stand“ Peak 5630m – WI 4+, 4a, 21.-22.8.2017 (Thomas Holler, Timo Moser)
Text: Babsi Vigl,
Fotos: Thomas Holler, Lorin Etzel, Michael Groher, Timo Moser, Babsi Vigl
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