Als die Slowenen Aleš Česen und Luka Stražar und der Brite Tom Livingstone im August über die Nordseite auf den Latok 1 (7.145m) stiegen, gingen rasch Meldungen um die Welt, sie hätten den seit 40 Jahren als unbezwingbar geltenden Nordgrat bestiegen. Viele Publikationen und online Plattformen griffen diese Meldung auf (auch wir berichteten), die sich aber als nicht ganz korrekt herausstellte. Zur gleichen Zeit erhob Alexander Gukov, der Überlebende der russischen Seilschaft, die sich zuvor am Nordgrat versucht hatte, den Anspruch, dass er und der abgestürzte Sergey Glazunov, eigentlich die ersten gewesen seien, die den Grat vollständig bezwungen hätten.
Ob der Nordgrat des Latok 1 nun wirklich komplett bestiegen wurde und wenn ja, von wem, darüber sprach Lisa-Maria Laserer mit Aleš Česen.
1. Es gab in den letzten Tagen auf einmal viele Spekulationen, Posts und Kommentare darüber, wer jetzt wirklich den Nordgrat des Latok 1 erstbestiegen hat. Das ist alles etwas verwirrend. Es scheint jetzt so, als wären die Russen die Ersten gewesen. Ist das korrekt?
Soweit ich weiss, behauptet Gukov, er meint sie hätten das Ende der Wand über den Nordgrat erreicht. Er ist überzeugt – soweit ich weiss nach einigen Diskussionen mit Anna Piunova -, dass sie nicht am eigentlichen Gipfel waren. Dieser Punkt – das Ende des Grats – ist noch ein gutes Stück vom Gipfel entfernt, obwohl es vom Basislager aus gesehen nicht so weit erscheint. Ausserdem, was wir vom Gipfel aus sehen konnten, ist es unmöglich auf den Gipfel zu gelangen ohne dass man es merkt. Vom Ende des Nordgrats muss man ca. 70 Meter auf der Südseite absteigen, bevor man zum eigentlichen Gipfel weitergehen kann. Das gleiche gilt auch für den Retourweg. Meiner Meinung nach ist es auf jeden Fall problematisch zu sagen, der Nordgrat sei komplett bestiegen worden, wenn man nicht am Gipfel war. Aber natürlich habe ich kein Problem damit, wenn jemand da anderer Meinung ist.
Auf der anderen Seite, ist es auch schwierig zu sagen, ob wir den gesamten Nordgrat bestiegen haben. Wir haben den Grat bis ca. 6.400m bestiegen. Dann haben wir den Grat verlassen und sind nach rechts gequert in Richtung Westsattel und von dort sind wir dann zum Gipfel aufgestiegen. Wir haben nie gesagt, dass wir den Nordgrat vollständig gemacht haben. Weil wir das auch nicht getan haben. Wir haben den Latok vom Choktoi Gletscher aus bestiegen. Das sind die Fakten und die Linie, die wir geklettert sind, war von Anfang an unser Plan, sogar noch bevor wir von zu Hause weggefahren sind.
2. Also wolltet Ihr nicht die Ersten sein, die den gesamten Nordgrat des Latok 1 erstbesteigen?
Wie ich schon gesagt habe: Unser Ziel war es, den Latok 1 von der Nordseite aus zu besteigen. Wir hatten nie geplant die direkte Linie auf dem Grat zu klettern.
3. Das heißt also, dass auch das Verlassen des Grats und das Ausqueren nach rechts geplant waren?
Ja, wir haben den Grat auf ca. 6.400m verlassen. Es ist nichts Ungewöhnliches passiert, sodass wir gezwungen gewesen wären, den Grat zu verlassen. Wir hatten das alles so geplant. Denn die Linie, die wir geklettert sind, erschien uns einfach die logischste und sicherste Aufstiegslinie vom Choktoi Gletscher aus.
4. Habt Ihr irgendwo Spuren der Russen gefunden? Zum Beispiel Ausrüstung, Seile oder Fußstapfen im Schnee?
Nein, überhaupt nichts. Aber das war nicht erstaunlich, denn es gab schlechtes Wetter zwischen deren und unserem Aufstieg. Wir haben aber schon ein paar alte Stände und Reste von Fixseilen von anderen vorangegangenen Expeditionen gefunden.
5. Kannst Du uns die Details Eurer Besteigung genauer sagen: Wie lange hat es insgesamt gedauert (vom Basislager aus und wieder zurück), wie viele Biwaks musstet Ihr machen, wie waren die Bedingungen und die Schwierigkeit?
Wir brauchten 7 volle Tage vom Basislager aus und wieder zurück. Beim Aufstieg machten wir 4 Biwaks: auf ca. 5.500m, 6.000m, 6.500m und 6.800m. Das letzte Biwak auf 6.800m war auf der Südseite, unterhalb der Felspyramide des Gipfels. Beim Abstieg vom Gipfel am 5. Tag haben wir nochmal die Hälfte der Nacht im Biwak auf 6.800m verbracht und dann sind wir in 2 Tagen den ganzen Weg hinunter abgestiegen. Wir haben auf 6.500m für den Nachmittag eine Pause eingelegt um auf die Nacht zu warten, weil es sicherer ist wieder auf den Nordgrat zu queren wenn die Temperaturen niedrig sind. Auf 5.500m haben wir zu Sonnenaufgang nochmal eine 3stündige Pause eingelegt um Schnee zu schmelzen für Wasser und um uns ein bisschen aufzuwärmen bevor wir weiter abstiegen. Am 7. Tag um 18 Uhr waren wir wieder im Basislager.
Die technischen Schwierigkeiten waren nie extrem. Ein paar Stellen waren ein bisschen herausfordernder, aber das meiste war eigentlich moderates Eis- und Mixed Klettern. Die größte Herausforderung war die Länge der Route und die Sicherheit. Der Sicherheitsaspekt war auch der Grund warum wir am ersten Tag während der Nacht kletterten und warum wir einen großen Teil unseres Abstiegs in der Nacht machten.
6. Wie seid Ihr vom Berg wieder runtergekommen: Konntet Ihr abklettern oder musstet Ihr alles abseilen?
Wir sind nur die 2 langen Querungen wieder abgeklettert, also von knapp unter dem Gipfel bis zum Westsattel auf der Südseite, eine ca. 700 Meter lange Querung und nochmal zurück zum Nordgrat ca. 400 Meter. Alles andere mussten wir abseilen, in den meisten Fällen an Eissanduhren.
7. Was sind Deine nächsten bergsteigerischen Ziele?
Jetzt muss ich mich erst einmal ausruhen und Zeit in einer etwas freundlicheren, aber trotzdem alpinen Gegend, verbringen.
Text: Lisa-Maria Laserer
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