Der Kommunist
Der Schleierwasserfall ist auch heute noch mein Favorit. Die Kletterei, meine Freunde, die Kulisse.
Wenn ich von meinen Reisen wieder zuhause ankomme, dann dauert es meist nur wenige Tage bis ich den steilen Fels am Schleier berühre.
Hier kenne ich alle Griffe, alle Tritte. Kenne alle Tricks und Details. Mir liegt der Stil dieser Routen und das ist auch mit Sicherheit ein weiterer Grund, warum ich gerne hier bin.
Hier fühle ich mich zuhause und genau diese Vertrautheit gibt mir die Grundlage, an meine Grenzen zu gehen.
Der "Kommunist" ist meine Grenze. 22 Meter lang, stark überhängend, athletische Kletterei. Die Schlüsselstelle knapp zehn Meter über einem großen Felsblock. Genug, dass eine Landung nicht mehr in Frage kommen kann – vor allem nicht ohne einem Meer von Crashpads...
Free solo – warum?
Es ist für mich die bewusste Suche nach der Grenze des für mich noch Machbaren. Ich wusste, dass ich mit der Begehung des "Opportunisten" noch nicht die Grenze berührt hatte. Ich wusste aber auch, dass ich als Kletterer nur noch wenig Zeit haben würde, diese Grenze zu erreichen. Die Bandbreite meiner Aktivitäten und jedes Lebensjahr zehrt an meiner Leistungsfähigkeit als Sportkletterer.
Meine absolute Leistungsfähigkeit liegt tatsächlich nur noch wenig über dem, was der "Kommunist" verlangt. Dementsprechend gering sind in dieser Route auch meine Leistungsreserven. Ich konnte trotz intensiver Vorbereitung den "Kommunist" nicht jedes Mal durchsteigen - nur bei frischer, voller Kraft und bei guten Bedingungen. Und selbst dann war die Leistungsreserve schon dünn.
Aber weiß mittlerweile sehr genau, wie ich funktioniere, wenn ich ohne Seil unterwegs bin. Das ermöglichte mir, die Leistungsreserve auf eine Minimum zu reduzieren.
20. April. Um acht Uhr bin ich schon am Felsen. Ich wollte allein sein. Keiner kann mich stören und auch ich werden keinen stören. Ich klettere mich warm. Einige Boulderzüge und ich weiß, dass die Kraft genauso gut stimmt wie die Bedingungen. Es ist neun. Ich werde einsteigen. Gerade als am einsteigen bin kommt ein Wanderer. Abwarten. Small Talk.
Nach fünf Minuten entscheide ich mich, nicht weiter zu warten. Damit mein Zuschauer beschäftigt ist, drücke ich ihm die Videokamera in die Hand. Ohne eigentlich genau zu wissen, was er denn da filmen wird, stellt er sich hinter die Kamera. Ich mache mich fertig und steige ein.
Es ist kühl, die Haut ist extrem zäh, der Grip dementsprechend fantastisch. Nur am Rastpunkt in 5 Meter Höhe, genau an der Stelle, an der der "Kommunist" den "Opportunist" verlässt, chalke ich genau einmal nach. Dreifingerloch, Zweifingerloch, Untergriff, Leiste – nur wenige Griffe für die fünf entscheidenden Meter. Die raumgreifenden Züge verlangen explosives Klettern, lassen dabei kein Denken zu - es bleibt keine konkrete Erinnerung an einen Gedanken. Auch am Rastpunkt nach der Schlüsselstelle hält es mich nicht lange. Die restlichen zehn Meter im neunten Grad – ich will sie hinter mich bringen. Zwei mal ins Magnesia gegriffen und es geht weiter. Fünfzehn Kletterzüge und ich bin oben.
Ein kurzer Schrei, ein Blick zu meinem aufmerksamen Kameramann, ein schneller Abstieg über eine benachbarte Route im siebten Grad. Kurzes Händeschütteln. "Bist schon ein wilder Junge". Breites Grinsen meinerseits, denn ich bin mir sicher, dass er trotz dieser Bemerkung nicht genau weiß, was er denn wirklich gefilmt hatte...
Alexander Huber
Berichte
Alexander Huber free solo in "Opportunist" 8b
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