Mit einer drei Tage (und Nächte) dauernden Parforce-Leistung nutzten die drei Alpinisten die erste sich bietende Schönwetterphase und erreichten am Mittag des 3. August den Gipfel des Torre Egger. Die Besteigung gelang in lupenreinem Alpinstil, ohne vorgängiges Anbringen von Fixseilen und Materialdepots.
Stephan Siegrist ist ein erfahrener Patagonien-Kenner. Er ist schon auf allen vier Gipfeln der Cerro Torre Gruppe gestanden. Auch auf dem Torre Egger, allerdings im Sommer. Deshalb wusste er, was sie erwarten würde. Und sie waren gut vorbereitet, als Sie am 27. Juli in El Chalten, dem Ausgangspunkt für alle Bergsteiger im ‚Los Glaciares’ Nationalpark ankamen. Und sie waren in Form. Aus Erfahrung hatten sie sich auf eine zermürbende Warterei eingestellt. Denn normalerweise besteht die hauptsächliche Tätigkeit in Patagonien aus Warten. Die Schönwetterfenster zwischen den berüchtigten patagonischen Stürmen sind in der Regel selten und kurz. Ebenfalls kurz sind die Tage im Winter: Tageslicht gibt es bloss zwischen 09.30 Uhr und 18.30 Uhr. Deshalb gilt es bereit zu sein, wenn sich eines öffnet.
Aus diesem Grund wollten sie sich sogleich in die Startlöcher begeben – sprich: das benötigte Material in mehreren Transportmärschen zum Wandfuss schaffen um dann, bei sich ankündigendem schönem Wetter, mit leichtem Gepäck aufzusteigen und die Tour in Angriff zu nehmen. Es war kalt – bis minus 25° und der zum Teil bis hüfttiefe Neuschnee machte das Ganze nicht einfacher. Am 31. Juli schafften sie die erste Ladung Material zum Wandfuss. Der Wetterbericht war nicht schlecht – vielleicht sogar gut genug für einen Gipfelversuch?
Der Osttiroler Mario Walder hatte Probleme mit einem Knie und musste bereits wieder nach El Chalten zurückkehren. Die restlichen drei Bergprofis entschieden sich (mit Marios Zustimmung) am Schweizer Nationalfeiertag, mal ohne ihn einzusteigen und zu sehen, wie sich die Situation entwickelte. Noch bevor sie überhaupt in der Wand waren wurden sie von einer Staublawine überrascht. Nach drei Minuten war der Spuck vorbei. Das Resultat (Zitat Stephan Siegrist): „Eine kalte Dusche in den Morgenstunden und alles Material war mit einer dünnen Schneeschicht überzogen.“ Zumindest waren sie jetzt munter. Bei perfekten, fast windstillen Bedingungen erreichten sie am ersten Tag auf dem Gletscherabbruch zwischen Torre Egger und Cerro Standhardt einen idealen Biwakplatz. Während Thomas Senf das Lager einrichtete, kletterte Dani Arnold - gesichert von Stephan Siegrist - am Abend noch zwei Seillängen.
Am nächsten Tag folgte die Route einer Risslinie die wie erwartet im Winter mit Eis gefüllt war. Um Griffe zu finden oder Sicherungen zu legen musste immer wieder mit dem Hammer das Eis vom Fels entfernt werden. Als Thomas Senf – der nicht nur als Fotograf sondern auch als starker Kletterer mit dabei war - die Führung übernahm und einen zwei auf zwei Meter grossen „Schnee-/Eisblock“ aus einem Winkel der Route entfernen wollte, folgte plötzlich nicht nur die ganze Schneemasse mit einem Mal der Schwerkraft, sondern auch Thomas wurde durch die Wucht der Schneemassen aus der Wand katapultiert! Stephan und Dani wurden 30 Meter weiter unten am Stand von dem Objekt bombardiert, doch ausser einer zerbrochenen Sonnenbrille hatten sie glücklicherweise nichts zu beklagen. Auch Thomas, der einen sieben Meter Sturz an den Tag legte, ging es - ausser einem kurzfristig aussetzenden Herzen - bestens.
Nun kam eine lange Traverse - und schon bald wurde es wieder dunkel. Der Himmel wurde allmählich von Zirren bedeckt, Wind setzte ein und es wurde bitter kalt. Es war klar, dass sie hier nirgends ein gutes Biwak beziehen konnten und um die Nacht nicht in ihren Klettergurten hängend verbringen zu müssen und dabei völlig auszukühlen beschlossen sie, auch in der Nacht weiter zu klettern. In später Nacht um 03.30 Uhr - nach 22 Stunden Kletterei - erreichten sie die Basis des eisigen „Gipfelpilzes“. Dieses Gebilde stellte sich ihnen als letzte Bastion auf dem Weg zum Gipfel in die Quere und ist von den Kletterern aus aller Welt als bergsteigerischer Albtraum gefürchtet, da die Kletterei mehr einem ungesichertem Hinaufwühlen im senkrechten Pulverschnee gleicht. Für diese letzten Seillängen brauchte es Tageslicht. Also gruben sie sich einen Sitz im steilen Schnee und verbrachten vier Stunden im Schlafsack, das Zelt über sich gestülpt um dem mittlerweile starken Wind zu trotzen. Stephan Siegrist: „Jeder von uns drei hing in den nächsten Stunden im Halbschlaf dunklen Gedanken nach, wie das nun wäre, hier knapp unter dem Gipfel in einen ausgewachsenen patagonischen Sturm zu geraten.“ Langsam wurde es hell und der Wind hatte an Intensität noch immer nicht nachgelassen. Dafür war der Himmel mit Zirren bedeckt. Ein mögliches Zeichen für einen Wetterwechsel. So kurz unter dem Gipfel wollten sie aber nicht aufgeben und machten sich, so schnell wie es mit klammen Fingern möglich war, auf, Richtung Gipfel. Stephan wusste von der Sommerbegehung vor drei Jahren über die „Titanic“ Route, dass es einen Eis- Kanal auf der Südseite des Pilzes gab. Bestand der immer noch, wäre das ihre Chance, schnell und sicher auf den Gipfel zu kommen. Und zum Glück existierte er noch!! Dani führte die letzten drei Seillängen auf den Gipfel. Am 3. August 2010 standen Stephan Siegrist, Dani Arnold und Thomas Senf um die Mittagszeit auf dem Gipfel des Torre Eggers. Nur eine gute Woche nach ihrem Abflug aus der Schweiz. Stephan Siegrist: „Wir werden erst einmal ein paar Tage brauchen um unser Glück zu fassen! Wir waren auf alles vorbereitet, nur nicht dass es so schnell gehen würde.“
Text von Stephan Siegrist, aufgezeichnet von Hans Ambühl.
Thomas Senf (29, D, wohnhaft in der CH)
Daniel Arnold (27, Urner)
und Stephan Siegrist (37, Berner Oberländer)
Webipps:
www.stephan-siegrist.ch - mit einem großem Bericht und Fotos
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